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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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gewaltigem Körperumfang. Er hielt sich so still, als sei er aus Stein gemeißelt. Die Juwelen, mit denen er bedeckt zu sein schien, funkelten im Morgenlicht wie ein Feuerwerk am Nachthimmel. Das mußte der Sultan sein. Ich ließ meinen Blick auf ihm ruhen, um seine Erscheinung in mich aufzunehmen.
    Wir waren verloren.
     
    »Heilige Mutter Gottes. Was sollen wir tun?« murmelte Peter neben mir. Scheremetjew sah ihn hilflos an. Dann faßte sich der Zar. »Zu den Waffen«, befahl er knapp. »In Stellung! Los, los, los! Meinst du, wir haben den ganzen Tag Zeit?« Er verpaßte Boris Petrowitsch einen derben Stoß, der diesen fast hinfallen ließ. Im Gehen drehte er sich noch einmal um. »Den Zaren von Rußland bekommt niemand, als sei er eine sitzende Ente im Wasser. Ich bin der russische Bär, der schlägt.« Er lief in Richtung seines Zeltes und rief nach seinem Leibjunker, nach seiner Rüstung und nach Finettes Sattel und Zaumzeug.
    Ich half Boris Petrowitsch, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen und umarmte ihn einen Augenblick. Er flüchtete sich in meine Wärme, und ich spürte, wie seine Schultern vor trockenem Schluchzen zitterten. Seit zwei Jahren hatte er keinen Augenblick der Ruhe mehr gekannt.
    »Nur Mut, Boris Petrowitsch. Und jetzt zu den Waffen«, sagte ich, als er sich etwas gefaßt hatte. Dieser Mann hatte mich aus mißlichster Lage gerettet. Ich verdankte ihm mein Leben an der Seite des Zaren. Es mochte wohl sein, daß ich ihn hier nun zum letzten Mal sah.
    Ich drückte seine Hand in meiner.
    Hinter uns stießen die Türken noch einmal in ihre langen Trompeten, deren Blech in der Sonne blendend leuchtete. Dazu schlugen sie auf große Trommeln und stimmten ein Kriegslied an. Es klang wie das grausige Heulen von Tausenden von wilden Tieren. Ein Schauer überlief mich. Scheremetjew löste sich aus meinen Armen und befahl: »Zu den Waffen!«
    Der Feldmarschall drehte sich weg und sah vor der Mauer der Muselmanenleiber mit einem Mal sehr klein und hilflos aus. Das Herz zog sich mir zusammen.
    Ich kam in das Zelt, als Peter, der bereits seine Rüstung trug, noch letzte Worte an Makarow diktierte: »Schreib, Makarow: Wir, Peter Alexejewitsch, durch die Gnade Gottes Zar aller Russen, verfügen: Sollte ich als Gefangener in die Hände des Sultans der Türken fallen, so sehe mich niemand mehr als Zar an. Kein Rubel soll für mich gezahlt werden und kein Tropfen Blut vergossen werden. Sollte ich nach Seinem unermeßlichen Willen im Feld bleiben, so gebt die Zarenkrone dem Würdigsten unter meinen Nachkommen.«
    » Batjuschka ! Starik ! Du wirst doch nicht …«, rief ich und warf mich ihm zu Füßen.
    Er sah mich an und strich mir über das Gesicht. »Wenigstens habe ich mich dir vor unserer Abreise gerecht erwiesen. Du wirst in allen Ehren leben. Ich danke dir für die Kraft, die du mir in jedem Augenblick gegeben hast, Katerinuschka, altes Mädchen.«
    Er sah mich noch einen Augenblick lang versonnen an.
    Die Klappe des Zeltes schlug gegen die Pfosten, und ich blieb allein zurück.
    Die Schreie der Männer, das Klirren der Waffen, das Donnern der Kanonen und der Gestank nach Blut und Tod durchdrangen in den folgenden Stunden nur nebelhaft den Rausch, den ich mir mit in Wein gelöstem Laudanum angetrunken hatte. In meiner Hand jedoch hielt ich lose einen Dolch. Sollte Peter sterben, wollte auch ich augenblicklich meinem Leben ein Ende setzen.
     
    Ich erwachte durch die Stille, die im Lager herrschte.
    Nur leises Murmeln vor dem Zelt drang zu mir in das Innere. Ich erhob mich, raffte einen warmen Schal um meine Schultern und trat in die sternklare, kalte Nacht der Wüste. Es stank nach Verzweiflung, Tod und Blut und ich mußte würgen. Mein Fuß stieß gegen etwas, was nur ein Körper sein konnte. Plötzlich legte sich eine Hand auf meinen Mund. Sie erstickte meinen Schreckensschrei unter ihrem Druck. Ich konnte nichts sehen, doch in diesem Augenblick erkannte ich Peters Geruch. Ich beruhigte mich augenblicklich.
    Seine Stimme flüsterte rauh: »Wir müssen weg, Katerinuschka. Wir müssen fliehen. Unsere Pferde sind bereit, und ein Führer kann uns eine seichte Stelle im Flußbett zeigen. Zieh deine Stiefel an und nimm deine Juwelen mit. Wir werden sie bis Rußland brauchen«, befahl er mir, ehe er seine Hand von meinem Mund nahm. Ich schnappte nach Luft und atmete angewidert die Brise ein, die den Gestank der Schlacht mit sich trug.
    Erst dann begriff ich: Der Zar aller Russen wollte fliehen. Karl von Schweden

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