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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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stinkend und faul. Wir zogen durch ein verzweifeltes Land, und der Haß der Leute, denen wir ihr weniges Essen noch entzogen, schlug uns wie Pesthauch entgegen.
    Nach langen Wochen erreichten wir den Dnjestr. Aber wir konnten nicht an dem Fluß lagern, wie wir vorgehabt hatten. Wovon sollten wir die Tausende von Männern und Pferden ernähren? Unsere Wagen steckten bis an die Planen in den reißenden Fluten des Wassers, als wir den Fluß überquerten. Einige von ihnen wurden von den Wellen zerrissen. Zahlreiche Pferde ersoffen, und ganze Ladungen von Schießpulver waren durchweicht und unbrauchbar. Die Männer hielten ihre Waffen über ihren Köpfen und setzten unter Qualen einen Fuß vor den anderen.
    Auf der anderen Seite des Flusses wandelte sich die Landschaft noch einmal: Meine Augen ertranken in einer See aus brennend heißem Sand. Der beißende Wind peitschte sie in graue und ablehnende Wellen. Es war ein Meer der Trostlosigkeit.
     
    Wir hatten all unsere Hoffnung auf das Tal des Flusses Pruth gesetzt. Es war fast Sommer, als wir dort ankamen. Hier wollten wir uns von den Mühen des Marsches erholen. Die Truppen schienen mir durch das Land besiegt zu sein, noch ehe sie gekämpft hatten. Hunger und Durst ließen uns die Nasen bluten und die Ohren sausen. Der Abend, an dem wir am Fluß Pruth die Erinnerung an Poltawa feierten, war einer der wenigen glücklichen Augenblicke des türkischen Feldzuges: Peter und ich betranken uns mit süßem Tokaier, den Felten in einem Dorf gefunden hatte, und ließen uns in den heißen Sand der Dünen rollen. Meine Haut leuchtete golden von der unbarmherzigen Sonne, durch mein Haar zogen sich helle Strähnen, und mein Körper war durch die Entbehrungen wieder fast so straff wie vor meinen Schwangerschaften. Trotz der Not machte ich mir die Mühe, mich am Abend neu zu kleiden, mir den Staub aus den Augen zu spülen und mich zu schmücken.
    Wir rasteten am Pruth. Peter und seine Männer versuchten vergebens, die Stellung der türkischen Armee auszumachen. Nach einigen ereignislosen Tagen wurden wir alle leichtsinnig, plünderten im Handumdrehen die umliegenden Dörfer und feierten jeden Abend ausgelassen das Ende der elenden Mühen. Die feigen Türken, so dachten wir, hatten sich verkrochen. Die Mädchen der benachbarten Liegenschaften waren den Soldaten für einen Teil ihres noch gestundeten Soldes zu Willen, und ich nahm mir eine von ihnen als Magd.
    »Schade um den Smaragd, den ich dem fetten Sultan vom Hals schneiden wollte!« meinte Peter und küßte mich, ehe er eine Flasche Wein an die Lippen setzte.
    »Den kannst du mir ja noch immer geben«, neckte ich ihn. Er lachte, und wir schliefen trunken und eng umschlungen am Tisch ein.
     
    Am frühen Morgen weckten uns jedoch nicht die unbarmherzigen Strahlen der hellen Sonne, sondern gellende Trompetenstöße. Scheremetjew stürzte schreiend in das Zelt: »Mein Zar! Es ist entsetzlich …«
    »Wer? Was?« Peter fuhr auf und strich sich über den schmerzenden Kopf und seine Augen. Ich versuchte rasch, mir mein Hemd bis auf die Schultern hochzuziehen, denn Peter hatte im Schlaf seine Lippen um eine meiner Brustwarzen gelegt. Scheremetjew kniete neben uns nieder und ergriff Peters Arm. Er war leichenblaß. »Die Türken! Wir sind umzingelt. Wir sind verloren. Sie sind in der Übermacht«, stammelte er.
    »Was?« schrie Peter nun. Er sprang auf und steckte sich im Laufen das schmutzige Hemd in den Gürtel, ehe er die Klappe des Zeltes zurückschlug. Grelles Licht drang in meine Augen, und ich blinzelte in die gleißende Helligkeit. Dennoch konnte ich selbst durch diese kleine Öffnung den Aufruhr im Lager erkennen. Ich erhob mich ebenfalls, bedeckte mich und trat in den Tag.
    War der Anblick, der sich uns bot, grausam oder prachtvoll? Wir waren umzingelt. Das russische Heer von vierzigtausend Mann war von beinahe dreimal so vielen Türken und Tataren umgeben. Es war eine Welle von Soldaten, die sich bedrohlich vor unserem Lager auftürmte: Sie schäumte vor uns feindlich gesinnten Menschen. Der goldene Halbmond leuchtete stolz von Tausenden roten Fahnen, die im heißen Wind wie lauter Teufel tanzten. Bis zum Ende der Weiten um den Pruth sah ich nichts als Soldaten, die mit ihren Pistolen und Gewehren, den schweren Krummsäbeln an ihrer Seite, den glänzenden Uniformen und den rauhen Fellen um ihre Schultern und Waden furchterregend aussahen. In ihrer Mitte, auf einer erhöhten Sänfte mit Kissen und Teppichen, saß ein Mann von

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