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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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zartes Gesicht. Ich bekreuzigte mich. »Möge Gott ihrer Seele Frieden geben«, sagte ich leise. Meine Vorleserin begann nun ebenfalls zu weinen. Anna verharrte reglos zu meinen Füßen, ihr Gesicht in die Hände vergraben.
     
    Ich hörte später, daß Peter persönlich den toten Leib seiner Schwiegertochter öffnete. Er wollte feststellen, ob sie nicht an Gift gestorben war, wie es am Hof getuschelt wurde. Gleichzeitig befriedigte der Anblick ihres offenen Leibes und ihrer Innereien wohl seine unersättliche wissenschaftliche Neugierde. Als die Leichenbestatter ihren Leib wieder zugenäht und zum Putz fortgetragen hatten, hielt Peter eigenhändig seinen Enkelsohn über den Taufstein. Damit zeichnete er das Kind öffentlich für die Nachfolge aus. Ich konnte an Sophie Charlottes Trauerzug nicht teilnehmen. Als der erste Schnee im späten Oktober jenes Jahres fiel, setzten bei mir die ersten Wehen ein: Zwei Tage später hielt ich selber einen starken und gesunden Sohn in meinem Arm.
    Der Kanonendonner zerriß hunderteinundzwanzig Mal die Nacht von Sankt Petersburg, und die Glocken tanzten vor Freude in den Kirchtürmen: Ich hatte einen Sohn, und das Reich hatte nicht einen, nicht zwei, sondern drei Erben!
     
    »Mein Vater!« las Pawel Jaguschinski vor. Ich saß an jenem Tag direkt neben Peter im Senat. Ich konnte sehen, wie seine Beine bei der Anrede im Brief ungeduldig zuckten. Menschikow stand nahe bei uns. Er trug einen roten Rock, eine Perücke aus grauem Haar, und seine Wangen glänzten frisch von dem morgendlichen Besuch seines Baders.
    »Mein Vater!« hob Jaguschinski noch einmal an. »Wenn es Euer Majestät beliebt, mich von der Nachfolge auf den russischen Thron zu befreien, so soll Euer Wille geschehen. Ich flehe sogar darum, daß dieses Joch von meinen Schultern genommen wird. Mein Geist ist unstet, und meine bereits fehlerhafte Erinnerung läßt kein Herrschen zu. Mein Körper ist zu schwach, um mit eiserner Hand ein Reich wie das Eure zu lenken. Ich will auch nun, da ich einen Bruder habe – und Gott möge ihn beschützen –, in der Zukunft nach Eurem Ableben – und möge Gott auch Euch noch viele Jahre bewahren – nicht nach der Krone Rußlands trachten. Ich gebe auch das Wohl meiner Kinder in Eure Hand. Gott sei mein Zeuge! Ich bitte um nichts außer um das Nötigste, was ich zum Leben brauche …«
    Peter hob die Hand und Pawel Jaguschinski hielt augenblicklich mit dem Lesen inne. Über der kleinen Runde lag eine gespannte Stille. Peter streckte die Finger nach dem Brief aus. »Gib mir den Wisch, Pawel Jaguschinski!« befahl er. Der Vorsteher seines Haushaltes gehorchte. Peter überflog den Brief. Ich sah zu Menschikow und war erstaunt über den brennenden Blick seiner Augen, mit dem er Peter beobachtete.
    Der Zar hob den Kopf. »Damit kann ich mir den Arsch abwischen und sonst nichts. »Euer Wille soll geschehen!« äffte er die Worte seines Sohnes nach. Peter sah wieder auf das Papier, knüllte es zusammen und warf es als Papierkugel in Richtung von Makarow, der Notizen über die Sitzung machte. »Für deine Archive, Makarow! Leere Sätze und dumme Wendungen, die mir nicht weiterhelfen! Daran kann die Nachwelt sich dann erfreuen!« rief er. Der Sekretär entfaltete die Papierkugel sorgsam und strich sie mit beiden Händen glatt.
    Der Zar sah einen seiner Ratgeber nach dem anderen an. »Die Zariza Katharina Alexejewna hat mir einen gesunden Sohn geboren. Die Frage der Nachfolge muß geklärt sein, damit mein Geist Ruhe hat. Die Zariza und ich werden in einigen Monden zu einer Reise durch Europa aufbrechen. Bei meiner Rückkehr sollen die Herrscher in Europa wissen, wer in meinem Reich meine Nachfolge antreten wird.«
    Die Ratsmitglieder saßen nun wie steifgefroren in ihren Stühlen. Peter hatte gefährlich leise gesprochen. »Bis dahin …«, schrie Peter plötzlich, daß die Adern an seiner Stirn sich wölbten und sein Gesicht sich rot verfärbte, »… bis dahin hat mein Sohn sich zu entscheiden. Entweder er zeigt sich der Nachfolge würdig, oder er verschwindet für immer, für immer in der Dunkelheit eines Klosters!«
    Seine letzten Worte gingen in einem Gurgeln seiner Kehle unter. Er stürzte von seinem Thron auf die Knie. Sein Gesicht war verzerrt, und er schrie wie ein Wahnsinniger. Ich sprang auf und rief: »Mein Gott, Menschikow, halt’ ihn fest! Halt ihm die Beine fest!«
    Die Männer des Rates waren von ihren Stühlen aufgesprungen und drückten sich gegen die mit Holz verkleidete

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