Die Zarin (German Edition)
Wand. Menschikow saß schwer auf den Füßen des Zaren. Ich griff Peters Schultern und versuchte, seinen schlagenden Armen auszuweichen. Er wischte mir das Diadem vom Kopf, doch es gelang mir, sein Gesicht in meinen Busen zu drücken. Dort beruhigte er sich augenblicklich. Ich sah zum Rat. Die Männer waren blaß geworden.
»Die Sitzung ist beendet. Der Zar braucht Ruhe. Geht nach Hause. Ihr werdet über das weitere Vorgehen unterrichtet«, sagte ich bestimmt. Die Männer verneigten sich. Menschikow und ich blieben allein zurück. Wir sprachen kein Wort, und das einzige Geräusch im Raum war der schwere, unregelmäßige Atem des Zaren.
Vor zwanzig Jahren war Peter auf der Suche nach Offenheit und Fortschritt zu seiner ersten Reise durch Europa aufgebrochen. Damals, so sagte er, war er an den Höfen mit mehr Neugierde als Ehrerbietung begrüßt worden. Nun bereiteten wir uns gemeinsam auf unsere Reise nach Europa vor, um an den Höfen als ihresgleichen begrüßt zu werden! Die Vorzeichen für unser Vorhaben waren günstig: Holländische und englische Schiffe beschützten den Handel auf dem Baltischen Meer. Polen, Sachsen und Dänemark schlossen sich dem Verteidigungsgürtel gegen die Schweden an. Zudem gab es noch einen Anlaß für Peters verfrühten Aufbruch nach Westen: Seine Nichte, die Zarewna Jekaterina Iwanowna, sollte im April endlich den Herzog Karl Leopold von Mecklenburg heiraten!
Wir wanderten zwischen den Schlitten umher, die beladen und mit Fellen ausgelegt wurden. Peter hielt den kleinen Peter Petrowitsch auf dem Arm: Unser Sohn war damals vier Monate alt und voller Leben. Die Schneeflocken tanzten um uns, und der Himmel war von dicken Quellwolken bedeckt. Obwohl es noch früh am Nachmittag war, glitt das verschwommene Licht des Tages schon in die Dunkelheit des zu frühen Abends: Es war später Januar in Sankt Petersburg. Es war so kalt, daß unsere Körper im Gehen eine warme Spur in der gläsernen Luft zogen. Unser Atem gefror und hing in eisigen Tropfen an unseren Lippen, so daß uns das Sprechen schwerfiel. Peter zeigte seinem Sohn stolz seinen Haushalt, während die Amme wie ein kopfloses Huhn um die beiden im Kreis lief. Sie war besorgt, daß der kleine Prinz sich erkältete.
»Nicht doch, mein Zar, laßt ihm die Fellkappe auf, er holt sich ja sonst den Tod!« rief sie besorgt.
Peter drückte seinen Sohn an sich und sagte: »Ach, das hält ein russischer Prinz leicht aus! Nicht wahr, mein Kleiner? Jetzt gehen wir den schwedischen König in den Arsch treten und alle seine früheren Freunde besuchen … Merke dir, man muß immer seine Feindschaften mehr pflegen als seine Freundschaften!«
Er küßte das rosige Gesicht des kleinen Peter, und der verzog unter dem Schnurrbart seines Vaters gekränkt das Gesicht. Peter Petrowitsch gurgelte und befreite seine kleinen Hände aus der Decke aus weichem Zobel, in die sein Vater ihn geschlungen hielt. »Du mußt nicht beleidigt sein! Beim nächsten Kampf nehme ich dich mit, gut? Sei nicht zornig mit deinem batjuschka – nie würde ich dich alleine lassen, wenn es nicht notwendig wäre! Sieh mal, deine Mutter kommt ja auch erst später nach, und sie halten sonst auch keine zehn Pferde vom Schlachtfeld ab! Also – und ich schreibe dir, Petruschka, versprochen!« sagte Peter beruhigend und küßte die Finger seines Sohnes. Dann schnupperte er und rümpfte die Nase. »Der Zarewitsch hat sich gerade erleichtert. Auf mich drauf!« erklärte er und hielt den kleinen Peter anklagend der Amme hin. Sie knickste, griff sich den Säugling geschickt aus den Händen seines Vaters und lief mit ihm und zwei Kammerfrauen eilig zurück in den Palast. Peter legte mir den Arm um die Schultern: »Es ist recht, daß du noch hierbleibst, bis unser kleiner Engel den ersten Winter überstanden hat …, außerdem glaube ich dir auch gerne, daß dich Jekaterina Iwanownas Hochzeit nicht so recht interessiert …«, sagte er neckend und küßte mich auf die Stirn. Ich zuckte die Schultern, die ich unter einem Mantel aus Samt und Nerz warmhielt. »Die Zarewna war stets so erpicht auf eine Eheschließung, daß ich mich von Herzen für sie freue«, sagte ich lächelnd. »Ich wünsche ihr alles Glück in der Ferne – und möge ihr Ehemann die Hochzeit länger überleben als ihr Schwager, der Herzog von Kurland, Gott hab’ ihn selig!«
Peter jedoch sah mich ernst an. »Es dauert nicht mehr lange, dann müssen wir auch an einen Ehemann für unsere Töchter denken. Ich werde
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