Die Zarin (German Edition)
laß’ uns doch die Geburt von Sophie Charlottes Kind abwarten. Vielleicht bessert er sich ja …«, bat ich gegen jede Vernunft für meinen Stiefsohn. Ich wollte Alexej nicht so einfach aufgeben.
Peter sah mich einen Augenblick lang zögernd an und schüttelte dann den Kopf. »Du mit deinem Herzen aus Gold. Niemand kann je so schlecht sein, daß du das Böse in ihm siehst. Wenn ich nur an Marie Hamilton denke! Selbst ihr hast du verziehen!«
Ich zuckte nur die Schultern. »Das Leben ist zu kurz, um rachsüchtig zu sein. Haß und Zorn stehlen einem nur die Herzensruhe«, sagte ich leichthin. In diesem Augenblick klopfte es leise an die Tür, und Anna Kramer steckte ihren Kopf in den Raum. Als sie Peter sah, wollte sie sich sogleich zurückziehen. Ich nickte ihr jedoch zu, und sie schob sich ganz durch die Tür, ohne sie jedoch hinter sich zu schließen. Peter sah sie einen Augenblick lang an, als suchte er sie wiederzuerkennen. Anna knickste und sagte leise: »Peter Andrejewitsch Tolstoi bittet vorgelassen zu werden. Ihre Hoheit, die Zarewna Sophie Charlotte steht kurz vor der Niederkunft.«
Peter befahl knapp: »Herein mit ihm, worauf wartest du noch, Mädchen!«
Hinter Peter Andrejewitsch Tolstoi ging sein schöner, schwarzer Sklave Abraham: Er hatte ihn aus Konstantinopel mitgebracht. Abraham hielt sich so gerade, als hätte er einen Stock im Rücken. Er blieb in der Tür stehen und verschränkte die Arme. Tolstoi selber lehnte den Stuhl am Feuer, den Peter ihm anbot, mit einem kurzen Kopfschütteln ab. »Ich kann nicht lange bleiben, mein Zar. Ich wollte nur berichten, daß die Wehen der Kronprinzessin eingesetzt haben. Blumentrost sagt, es sei noch etwas früh dafür …«
Der Zar fragte nur »Weshalb? Wie kann Blumentrost sich da so sicher sein? War er bei der Zeugung dabei?« Er lachte spöttisch auf und gab den Scheiten im Kamin einen Tritt, daß die Funken sprühten.
Peter Andrejewitsch Tolstoi trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »In den Gemächern des Kronprinzen gehen Gerüchte um …«, begann er. »Die Kronprinzessin soll die Treppen hinuntergefallen sein. Sie hat blaue Flecken am ganzen Körper. Eine Rippe ist ihr gebrochen, sagt Blumentrost …« Seine Stimme verlor sich wieder.
Ich saß nun auf einem Stuhl und hatte mir ein Kissen in den Rücken gestopft. Meine Füße lagen auf Peters Schenkel, und er begann, meine wehen und geschwollenen Knöchel zu kneten. Als Tolstoi wieder zu sprechen anhob, war seine Stimme kalt. »Alexej hat Sophie Charlotte getreten und geprügelt, bis sie sich selber die Treppen hinuntergestürzt hat. Nun hat die Geburt eingesetzt.«
»Mein Gott!« rief ich aus. »Das kann doch nicht sein!«
Peter sagte nichts. Er schob meine Füße beiseite, stand auf, ging zum zweiten Mal zu dem kleinen Schreibpult und drückte sein Siegel in den weichen Klumpen Wachs am Ende des Briefes, den er gerade an Alexej geschrieben hatte. Er sah auf, und seine Augen glitten in einer stummen Bitte über meinen runden Leib.
»Laß den Prinzen wissen, daß er sich entscheiden muß. Entweder er benimmt sich seinem Rang und seiner Berufung entsprechend. Oder er geht in ein Kloster«, wies er Tolstoi an. Er überlegte noch kurz und zuckte dann die Schultern. »Oder …«
Er ließ den Satz unvollendet, und selbst Peter Andrejewitsch Tolstoi wagte es nicht, seinen Zaren anzusehen.
Sophie Charlotte schenkte an einem feuchten Tag Ende Oktober einem gesunden Knaben das Leben. Der Zar selber war bei der Geburt anwesend. Er hielt den Säugling mit triumphierendem Lachen an das matte Tageslicht des Morgens: »Seht ihn euch an! Mein Erbe! Peter Alexejewitsch!« rief er. Ich trat neben ihn und musterte den Knaben wohlwollend. Er strampelte und schrie und schien überhaupt bei bester Gesundheit zu sein. Peter selber tauchte ihn in das erste warme Bad, und ich freute mich an seinen runden, rosigen Gliedmaßen. Seine Geburt nahm eine schwere Last von meinen Schultern. Peter legte ihn in die dicken Arme einer Milchamme. Er hatte sie in der deutschen Vorstadt von Moskau aufgrund ihrer schweren Brüste auswählen lassen. Der kleine Prinz sollte das neue, offene Rußland mit der Muttermilch einsaugen! Ich sah zu, wie die Amme den Säugling zärtlich an sich drückte und sagte: »Na, dann wollen wir mal, mein Kleiner!« Sie zog sich ihr Leinenhemd von der Schulter, und der kleine Peter Alexejewitsch schnappte kraftvoll nach ihrer tiefroten Brustwarze. Peter lachte vergnügt auf. »Das ist mir
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