Die Zarin (German Edition)
denn auch meine liebe Schwägerin Natalja Alexejewna Romanow tat in jenem klammen Winter ihren letzten Atemzug. Ich wagte es nicht, Peter diese Nachricht in einem Brief übermitteln zu lassen, sondern wartete damit auf unser erstes Treffen vor den Toren Hamburgs. Er weinte fast zwei Tage lang über den Verlust seiner Schwester. Sie war die einzige Person, die wirklich verstanden hatte, was er als Kind durchlebt hatte. Ich wich keinen Augenblick von seiner Seite in jenen Stunden, und manchmal sprach er mich im Traum mit ihrem Namen an.
Aber wie verwirrend das Europa jenseits meiner livländischen Heimat war! Allein die Anzahl der kleinen Herzogtümer und Kleinstaaten, von denen jedes für sich seine Eigenständigkeit verlangte, war unglaublich. Wieviel einfacher waren die Verhältnisse doch in Rußland, wo es nur einen Herrscher gab! Nach einigen Tagen hörte ich dann auf, die Zollschranken und Grenzbalken zu zählen, an welchen wir Halt machen mußten. Die Säcke mit Gold leerten sich zügig angesichts der Zölle und Grenzsteuern. Die Gasthäuser in den Ländern waren sauber und bequem, so daß ich mich frisch und ausgeruht fühlte, als wir in Hamburg ankamen. Im Mai des Jahres traf unser Troß aus fünfhundert Karossen und Wagen in Hamburg ein: Der König von Dänemark, Frederik der Vierte, und Peter erwarteten unsere Ankunft bereits.
Hamburg lag teilweise noch immer in Trümmern nach dem letzten schwedischen Angriff. In der Luft hing noch der Gestank nach Rauch und Tod: Der süßliche, Übelkeit erregende Geruch machte auch vor den gewichsten Schluppen der fürstlichen Zelte nicht halt. In der Elbe konnte man noch aufgeblähte Körper treiben sehen. Die Einwohner mancher Stadtteile suchten noch immer in Trümmern Zuflucht und ernährten sich von Beeren, Wurzeln und, so hieß es, von streunenden Hunden. Unsere Zelte jedoch waren mit aller Pracht ausgestattet: Das feste, reine Leintuch war mit Goldquasten und Schabracken verziert. Meine faltbaren Möbel waren aus leichtem, vergoldetem Metall geschmiedet. Auf den Kommoden ruhten schwere Reisenecessaires aus Leder, Silber und Elfenbein. Peter sandte mir jeden Tag den Putzmacher in mein Lager, damit ich neben den anderen Damen auch glänzte. Während Peter und Frederik versuchten, sich langsam und vorsichtig über einen Angriff zu Wasser und zu Land gegen die Schweden zu einigen, besuchte ich mit meiner Begleitung von dreihundert gofdamy die Stadt. Wir sahen Aufführungen im ersten Opernhaus Deutschlands: Ich bemerkte wohl den Unterschied zwischen diesen Aufführungen und denen des Kunstschen Theaters, das Peters Schwester Natalja so mühsam aufgebaut hatte!
Den frühen Sommer verbrachten wir in Bad Pyrmont, wo Peter sich mit einem Mann namens Gottfried Wilhelm von Leibniz zu Gesprächen traf. Die Treffen mit ihm sollten Peters Laune nach all dem Wasser, daß er trinken mußte, nicht gerade verbessern! Leibniz jagte mir mit seiner hohen Stirn und seinen mißbilligenden Augen eine heilige Angst und auch Ehrfurcht ein. Peter kam nach den Stunden mit ihm immer sehr erschöpft in mein Zelt. Alles, was ich tun konnte, war seinen Kopf in meinen Schoß zu betten und seine Schläfen mit Rosenöl sanft zu massieren. »Dieser Leibniz ist schon ein erstaunlicher Mann.«
»Weshalb? Was ist sein Beruf oder seine Bedeutung?« fragte ich und strich mit meinen warmen, öligen Fingern nun auch durch sein Haar.
»Er ist ein Philosoph«, sagte Peter und schloß die Augen unter den kreisenden Bewegungen meiner Hände auf seiner Kopfhaut. »Er ist ein Freund der Weisheit. Leibniz denkt über das Leben, diese Welt und ihre Bedeutung nach. Er erweitert seinen Geist und verharrt nicht auf einer ihm bequemen und bekannten Stelle. Er verkörpert all das, was ich für Rußland möchte. Leider weigert er sich jedoch, mit mir nach Sankt Petersburg zu kommen.«
»Und was sagt er über diese Welt?« fragte ich lachend, als Peter mit seinen Händen über seinen Kopf nach meinen Brüsten griff und kurzerhand mein Kleid nach unten zog. Er spielte mit meinen Brustwarzen. In den letzten Wochen hatte ich ihn kaum gesehen. Er richtete sich nun auf und legte mich ohne Umstände flach nach hinten auf die weich gepolsterte Ruhebank, auf der wir saßen. Während er ungeduldig an seinem Gürtel zerrte und meine Wäsche unter meinem sommerlichen Leinenkleid beiseite schob, lachte er: »Leibniz meint wie ich, daß dies die beste aller denkbaren Welten ist! Und ich meine, daß du noch immer das beste aller
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