Die Zarin (German Edition)
»Geh zu Bett, Katerinuschka.«
Nun stand er neben Schafirow auf dem Schafott, und seine Miene war undurchdringlich. Die Augen der Umstehenden schienen mir wie Brandlöcher in ihrer blassen Haut. Sie saugten seinen Anblick in sich auf. Schafirows Beine zitterten. Die Folterknechte faßten ihn unter und schleiften ihn zum Richtblock. Er bekreuzigte sich. Als er niederknien wollte, zogen ihm die groben Gesellen lachend die Beine weg, so daß er wie eines von Nataljas Spielzeugen auf dem Bauch lag und wippend nach Gleichgewicht suchte. Die Menge grölte wie auf Befehl vor Vergnügen. Der Henker rückte seine rote Kapuze zurecht, bis er gut aus den schmalen Augenschlitzen sehen konnte. Er hob die Axt, und die Frühjahrssonne ließ den Stahl aufleuchten. Schafirow lag, als sei er zu Stein erstarrt. Ich sah, wie seine Lippen sich in einem stummen Gebet bewegten. Seine Frau, die schmale, sanftmütige Baronin Schafirow, verlor die Besinnung. Die Axt fiel. Doch der Stahl traf neben Schafirows Kopf und blieb zitternd im Holz stecken.
Peter Schafirow schrie vor Entsetzen darüber, noch am Leben zu sein, auf.
Menschikow grunzte ärgerlich neben mir: »Wirklich, kann man sich bei einem Mann wie Schafirow denn keinen guten Henker leisten? Er hat doch genug Geld! Diese Stümperei!« Er sog geräuschvoll etwas Schnupftabak durch die Nase hoch und rotzte zweimal nach.
In diesem Augenblick sah ich, wie sich eine Gestalt aus der Mauer der Menschen um Peter löste: Es war Makarow. Er rollte einen Brief auf. Peter verzieh Schafirow! Die Worte des Ukas hallten von den Mauern des Kreml, und ein Seufzen ging durch die Menge, das selbst die Baronin Schafirow wieder erwachen ließ: Ihr Mann war begnadigt worden! Peter hatte eine Todesstrafe in eine Verbannung nach Sibirien umgewandelt.
Als ich Schafirow Stunden später im Senat sah, zitterten ihm noch immer alle Glieder. Sein Gesicht war so weiß wie ein Leintuch, und seine Augen hatten den Tod gesehen. Sein Leibarzt Sergej Kowi mußte ihn zweimal zur Ader lassen, bis er sich etwas erholte.
Am Abend fand ich den Ring von Pruth neben meinen Pasten und meinen Spiegeln auf meiner Kommode.
Der Sommer kam und mit ihm die Vergnügungen der langen, lichten Tage.
Peter kehrte nach Sankt Petersburg zurück, um dort den Empfang für ein kleines Holzboot vorzubereiten: Arbeiter hatten es beim Bau einer Kirche an einem See nahe Ismailow gefunden. Feofan Prokopowitsch nannte es den Großvater der russischen Flotte, und nun sollte das Boot in Sankt Petersburg ausgestellt werden.
Während sich Peter mit Feuereifer in die Planung des feierlichen Empfangs warf, zog ich mich nach Peterhof zurück. Seine Augen blitzten vor Freude, als er mir auf meine Barke half: »Eine Schande, daß du nicht da sein wirst, wenn das Boot kommt! Meine Seespiele machen mir mit dir noch immer am mei sten Spaß, auch wenn du nicht mehr in meine Kajüte paßt!«
Wir lachten beide, und er zwickte mich vertraulich in den Hintern, ehe er mich zum Abschied küßte. »Feier nicht so lange, starik , das bekommt dir nicht!« murmelte ich. Wir winkten uns zu, bis er mit dem grauen Stein der Anlegestelle vor dem Sommerpalast verschmolz. Der Friede und die Sicherheit, nach der ich mich so lange gesehnt hatte, legten sich auf mich. Es tat mir wohl, der stickigen Hitze der Stadt zu entfliehen. Ich wählte den Weg über das Wasser, da der Anblick des verbrannten Landes, das den vierten Sommer in Folge hungerte, zu sehr in mein Herz schnitt. Die Heuschober der Dörfer standen leer, und an den Wegen lagen die leblosen Körper von Menschen, die in ihrem Schritt verhungert waren. Niemand hatte mehr die Kraft, sie zu beerdigen.
Peterhof erschien mir so wie ein stilles Paradies: Aus der Ferne schon schillerten die Fontänen im Sonnenlicht. Die Wipfel der Bäume standen so dicht, daß ich kaum das Dach des Schlosses erkennen konnte. Bunte Vögel schwirrten in der Luft, Schmetterlinge tanzten wie toll um das Boot, und ich hörte meine kleinen Affen in der Voliere neben dem Pavillon Marly kreischen.
Ich stieg von meinem Boot auf den Kai. Mein Fuß strauchelte auf dem feuchten Landesteg. Wilhelm Mons eilte nach vorne, und sein starker Arm fing mich auf. Seine Hand schloß sich so fest um meine, daß seine vier Talismanringe sich in mein Fleisch eingruben.
Als ich dankbar aufsah, da war sein Blick tiefer als die See, die uns umgab.
Meine Dankesworte erstarben auf meinen Lippen. Etwas lang Vergessenes regte sich in meinem Herzen:
Weitere Kostenlose Bücher