Die Zarin (German Edition)
gelöst. Die rosige Haut in ihrem Nacken wirkte rührend kindlich. Ehe ich wußte, was ich tat, strich ich ihr weich über ihre Haare, mit mehr Zärtlichkeit, als ich je für sie empfunden hatte. Elisabeth jedoch zuckte zusammen, als hätte der Schlag sie getroffen und fuhr dann zu mir herum. »Du bist es!« zischte sie. Im selben Augenblick legte sie eine Hand schützend auf ihre Arbeit. Ich bemühte mich, freundlich zu bleiben. »Was machst du gerade, Elisabeth? Wie fleißig von dir, hier allein, noch nach den Stunden mit Madame de la Tour, zu sitzen …«
Ich lächelte sie an. Sie zuckte mißmutig mit den Schultern. »Ich mache nichts Bestimmtes. Aber ich habe schon so lange nicht mehr in mein Tagebuch geschrieben. Das hole ich jetzt nach. Das Wetter war sowieso nicht schön genug, um reiten zu gehen.«
Ich sah aus dem Fenster. Draußen war strahlender Sonnenschein, und ein weicher Wind zog durch die Baumgipfel. Ich wußte nicht, was ich ihr entgegnen sollte. Sie sah mich an, abwartend und offensichtlich in der Hoffnung, daß ich gehen würde. Mein Blick glitt über ihr Blatt Papier. Obwohl ich ihre Worte nicht lesen konnte, fiel mir auf, wie ausgeprägt geschwungen ihre Schriftzüge doch waren. Dies war kein Kind mehr, das hier schrieb, sondern eine Frau.
Peter sandte mir Brief um Brief hinaus nach Peterhof. Aus jeder der Zeilen sprach seine Liebe und seine Sehnsucht nach mir: »Leider, mein Engel, meine Katerinuschka, kann ich nicht bei Dir sein. Dieses alte Leiden plagt mich mehr denn je, und ich bin froh, Dir meinen Anblick ersparen zu können. Mein Bauch ist so aufgebläht wie bei einem Gaul, der zuviel gesoffen hat. Der Schmerz ist wie ein Haus auf meiner Brust, und die Geschwüre an meinen Beinen machen jeden Schritt zur Qual. Gott sei Dank hat mir Apraxin ausgezeichneten Wodka senden lassen, und Alekascha hat mir einen prachtvollen Hengst geschenkt – so trinke ich über den Schmerz und reite aus!«
Schließlich ging der Sommer in einen stürmischen, feuchten Herbst über. Mit Wilhelm Mons in meinem Herzen und in meinem Blut trat ich die Reise nach Sankt Petersburg an. Manchmal, wenn ich mit Peter über Entwürfe für die Roben und meine Krone gebeugt stand, so wurde mir doch heiß vor Angst: Die Krönung einer Zariza. Noch nie zuvor hatte ein Zar sich zu diesem Schritt entschieden. Die Feier in Moskau sollte die Einmaligkeit und Größe seiner Entscheidung noch dem Ärmsten der Armen in Moskau bewußtmachen. Mein Hals versteifte sich unwillkürlich, so, als hätte er bereits das Gewicht der Krone und der Schleppe zu tragen. In jenen Tagen wäre ich ebenso glücklich mit Wilhelm Mons in einer kleinen isba gewesen! War und blieb ich eine Seele?
Peter und ich standen gemeinsam vor dem Tisch seines Arbeitszimmers im Winterpalast. Er schien meine Unruhe zu fühlen, denn er zog mich bestimmt an sich. Fast wollte ich ausweichen, so sehr sehnte sich mein Körper nach Wilhelm, doch dann gab ich nach. Mein Arm schlang sich um seinen Leib, und ich fuhr ihm weich durch sein wirres Haar. Auf dem Tisch sah kein Stück Holz mehr unter den Papierrollen mit Entwürfen für Roben, Uniformen und Juwelen hervor.
Er erklärte mir freudig: »Sieh mal, wir kommen in Kutschen von Menschikows Haus über den Roten Platz gefahren, in den Kreml hinein. Ich denke, der ganze Platz soll voller Fahnen sein, was meinst du? Der Weg zur Uspenski-Kathedrale ist nicht lang, aber all das Volk soll dich sehen können! Und es soll ein Anblick sein, den sie ihr Leben lang nicht vergessen!« Er raschelte mit seinen von Tabak braunen Fingern in anderen Papieren. »Schau, hier habe ich überlegt, wer deine Schleppe tragen soll. Ich habe natürlich an deinen kum Apraxin, den alten Säufer, gedacht …, wenn er an dem Tag einmal nüchtern sein kann! Und natürlich Buturlin, als Sauf-Pope, was meinst du?« Er kaute nachdenklich an seinem Schnurrbart und schien mehr mit sich selber, als mit mir zu sprechen. Welchen seiner alten Haudegen wollte er ehren?
Ich nickte nur. Dann jedoch fiel mir doch etwas ein. »Und wer, mein Zar, wird mich krönen? Stefan Jaworski als Vorstand der Synode? Oder Feofan Prokopowitsch?« fragte ich sanft. Peter legte ruhig den Bogen Papier nieder, den er in Händen hielt. Er legte seine beiden Hände auf meine nackten Schultern und küßte mich auf die Stirn.
Seine Stimme klang ebenso weich, als er mir antwortete. »Nein, Katerinuschka. Niemand anders als ich selber wird dich krönen.«
Peters
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