Die Zarin (German Edition)
seinem Schreibtisch saß, auf beide Wangen. Er sah von einem Papier auf und küßte mich wieder.
» Matka, da bist du ja. Komm, setz dich zu uns beiden alten Männern. Wir hek ken mal wieder Unsinn aus!« sagte er.
Ich gehorchte und ließ mich in einen hohen Lehnstuhl sinken. Mir entging jedoch nicht, daß Feofans Augen mich nicht losließen. Ich lächelte und verschloß mein Gesicht, wie nur wir Seelen es können. Ich faltete meine Hände und zwang so meine Finger, ruhig in meinem Schoß zu liegen. Peter nahm das Gespräch, das durch meine Ankunft unterbrochen worden war, wieder auf.
»Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, bei der Freiheit …«, sagte er. Ich nickte und unterbrach: »Die Freiheit! Darüber spreche ich gerne! Wolja ! Tun und lassen, was man gerade mag, das ist der Traum aller Seelen!« lachte ich.
Feofan jedoch schüttelte den Kopf. Ein feines Lächeln umspielte seinen Mund. »Meine Fürstin, aus dir spricht die Seele Rußlands. Dennoch, die echte Freiheit bedeutet nicht, frei von Gehorsam und den Gesetzen Gottes oder unseres Zaren zu sein. Echte Freiheit bedeutet Freiheit von Sünde und von allen unsinnigen Vorstellungen, die unser Seelenheil und unser rechtes Tun verhindern.«
Er machte eine Pause und sah zu Peter hin: Der hatte seine Füße in den matschigen Stiefeln auf den Tisch gelegt und nickte Feofan aufmunternd zu. Ich zog die Stirn kraus, denn ich verstand nicht, worauf er hinauswollte. Es schien mir, als ob Feofan Prokopowitsch jedes seiner Worte mit besonderer Sorgfalt wählte: »Ich denke, es gibt Gesetze des Herzens und der Natur. Über sie entscheidet Gott oder an seiner Stelle der von Gott erwählte Herrscher. Sie sind Väter für ihr Volk und sind frei, mit Gottes Hilfe Entscheidungen zu treffen! Alle Gläubigen müssen sich in ihrer Freiheit diesen Entscheidungen beugen, selbst wenn sie in ihrem schlichten Geist nicht sofort deren Weisheit erkennen mögen …«
»Komm zur Sache, ehrenwerter Feofan«, unterbrach ihn Peter. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Er wirkte erregt. Ich hörte dem Erzbischof von Pskow weiter zu, auch wenn ich nicht alles dabei verstand.
Feofan fuhr gelassen fort: »Der Herr, unser Zar, hat keinen Sohn. In seiner Sorge um das Wohl seines Volkes, nach dem Willen aller Russen und dank der Gnade Gottes will er alleine entscheiden, wer seine Nachfolge antreten soll an dem Tag, an dem der Herr ihn zu sich ruft – möge er fern von uns sein!«
Peter ließ sich in seinem Stuhl nach vorne fallen und entschied mit einem Mal: »Laß uns nun allein, Feofan Prokopowitsch. Ich kann der Kaiserin doch nur alleine sagen, was ich ihr sagen will. Aber du hast mir geholfen, einen Weg dahin zu finden. Hab’ Dank, Vater.« Er erhob sich und streckte seine langen Glieder durch. Feofan verneigte sich. Er lächelte mich an, als er ging.
Mein Herz schlug mit einem Mal bis zum Hals. Meine Hände legten sich um die Löwenköpfe, die am Ende der Armlehnen meines Stuhles eingeschnitzt waren. Peter sagte nichts, sondern musterte mich nur schweigend. Ich spürte Zorn in mir aufsteigen. Welchen seiner Bastarde wollte er zum Erben ernennen? Genug Auswahl an unehelichen Söhnen hatte er ja! Ich konnte nun nicht ruhig sitzen bleiben, sondern trat an das Fenster. Ich drehte Peter den Rücken zu, und außer unserem Atem war nur das Ticken der Uhr im Raum zu hören.
Draußen, auf dem hellen Kies des Weges, sah ich Elisabeth gemeinsam mit Wilhelm Mons stehen. Ihre Wangen waren vom Ritt erhitzt, und sie sprach vertraulich auf ihn ein. Er lachte höflich, hielt jedoch bemüht seinen Abstand von ihr. Mein Blick streifte weiter, über die Baumwipfel des Parks, über die Wasserfontänen, die in allen Farben des Regenbogens im Sonnenlicht sprühten, hinaus auf die bleierne See des Finnischen Meerbusens. Ich spürte, wie Peter hinter mich trat.
Er legte seine Arme um meinen üppigen Leib und küßte mich auf den Nak ken. »Meine Katharina Alexejewna. Ich habe gelernt, daß ich nicht über den Leib einer Frau zu befehlen vermag«, flüsterte er, und seine Stimme klang so traurig, daß sie mir in mein Herz schnitt. »Gott hat mir einen starken, gesunden Sohn von dir verwehrt. Ich kann ihm nicht zürnen, denn das verbittert mir nur das Herz auf meine alten Tage. Aber du und ich, wir haben immer zusammengehalten. Du bist mir treu gewesen, immer. Du hattest stets einen guten Rat für mich: zur Milde, zur Gnade. Du hast mir so viele Male, wenn ich mit einer Entscheidung gerungen habe, zur Seite
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