Die Zarin (German Edition)
gestanden.« Seine Stimme verlor sich.
Ich legte meinen Kopf nach hinten auf seine Schulter und schloß die Augen, in denen sich Tränen sammelten. Die Wärme des Raums ließ mich schläfrig werden.
»Bist du bereit?« fragte er mich nun leise.
Mit einem Schlag war ich wieder hellwach. Ich riß die Augen auf, und das Licht strömte schmerzhaft in meinen Kopf. »Bereit? Wozu?« meine Stimme wollte mir versagen.
»Dich von mir krönen zu lassen. Im kommenden Jahr, sobald es warm und sonnig in Moskau ist. Sollte ich vor meiner Zeit sterben, so kannst du mein Werk weiterführen. Bist du bereit?« fragte er leise. »Bist du bereit? Wir sind beide alt! Als Dank für all die Jahre …!« wiederholte er leise und dringlich.
›Wir sind alt‹, sangen seine Worte in meinem Kopf, ›alt, alt, alt‹. Doch ehe diese Wörter schmerzen konnten, nickte mein Kopf schon. Ich hörte sein warmes Lachen, als er mich spielerisch in meine entblößte Schulter biß. »Was bin ich stolz auf dich!« Die Worte wuchsen in meinen Ohren und hallten in meinem Kopf wider und wider, bis sie Elisabeths Lachen, die Gischt der Brunnen und auch den Tanz der Sonnenstrahlen schluckten und jeden anderen Gedanken übertönten.
Wilhelm Mons drehte seinen Kopf und sah nach oben.
So alt bin ich auch noch nicht, schoß es mir durch den Kopf, als Peter seine Finger unter mein Kinn legte, meinen Kopf hob und mich küßte.
Peter Schafirow zitterte am ganzen Leib, als er das Schafott bestieg.
Er trug nichts als ein grobes Leinenhemd, und seine Füße waren nackt. Im Gefängnis von Moskau hatte er an Gewicht verloren, und in seinen Zügen erkannte ich nun wieder den jungen, hellwachen Mann, der er gewesen war, ehe Ehrgeiz und Gier ihn unter sich aufteilten und schluckten.
Alexander Danilowitsch saß neben mir. Er drehte gleichgültig an dem mit Diamanten besetzten Knauf seines Spazierstockes. Ich bemerkte, daß er sich zur Feier des Tages eine neue, blonde Perücke hatte knüpfen lassen. Es gefiel ihm, seinen ehemaligen Verbündeten auf das Schafott gebracht zu haben. Ich fächelte mir träge Luft zu. Für den Monat April war die Luft in Moskau ungewöhnlich stickig. Eine eher mürrische, gleichgültige Menge hatte sich um den Richtblock auf dem Roten Platz versammelt. Ich musterte die Menschen. Wie mager sie waren! Wie tief ihre brennenden Augen in ihren Höhlen lagen. Fast hatten sie keine Köpfe mehr, sondern nur noch Schädel: Die Hungersnot währte nun schon das dritte Jahr. Ich wußte wohl, was man im Volk noch immer flüsterte. Gott straft Rußland, Gott straft den Sohnesmörder auf Rußlands Thron. Die Moskwa führte selbst jetzt, kurz nach der ottepel , kaum Wasser. In manchen Gegenden Rußlands wurde Reisenden geraten, nicht allein in einem Gasthaus zu übernachten, denn sie konnten sonst als saftiger Eintopf im Kochtopf enden, so sehr hungerten die Menschen.
Schafirow begann nun so heftig zu weinen, daß sein ganzer Körper zitterte. Seine wäßrigblauen Augen hingen an seinen fünf Töchtern: Die Prinzessinnen Dolgoruki, Golowin, Gagarin, Chowanski und Saltykow weinten ihre Spitzentaschentücher um ihren Vater naß. Schafirow war des Verrats und der Bestechlichkeit für schuldig befunden worden, und drei Tage später sollte er nun sterben. Er heulte, daß ihm der Rotz von der Nase triefte.
Ich suchte Peters Blick: Am Abend zuvor hatte ich in meinen Laden nach einem kleinen Beutel aus Leder gesucht. Es hatte lange gedauert, bis ich ihn fand. Das letzte Mal hatte ich ihn während des Feldzugs von Pruth am Gürtel getragen. Als ich ihn gefunden hatte, lag in ihm noch der Ring, den Peter mir damals gegeben hatte. Ich erinnerte mich an seine Worte. »Laß uns nie vergessen, was heute geschehen ist!«
Schafirow hatte an jenem Morgen sein Leben für Peter und für Rußland aufs Spiel gesetzt, als er sich in das Lager des Sultans wagte. Ich war mit dem Ring in Peters Gemächer gegangen und hatte ihn schweigend vor ihn hingelegt. Peter hatte unwillig von seiner Arbeit an einem Ukas aufgesehen.
»Was ist das?« fragte er mich.
»Das ist der Ring, den du mir vor zwölf Jahren gegeben hast, am Pruth.«
»Und?« Er hatte ihn hin und her gedreht. Die Kerzenflamme brach sich in dem Feuer des Rubins.
»Du hast damals gesagt, wir wollen nie vergessen, was Schafirow in jenen Tagen für Rußland getan hat«, erinnerte ich ihn. Peter hatte mich einen Augenblick lang schweigend angesehen. Er steckte sich den Ring in seine Tasche, ehe er sagte:
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