Die Zarin (German Edition)
haben wir ja jemanden. Aber du kannst die Einkäufe überwachen. Ich habe auf dem Markt bemerkt, daß du dafür eine geschickte Hand hast und zäh verhandelst. Also, was denkst du darüber? Du bekommst Kost, Unterkunft und ein wenig Lohn. Viel ist es nicht, aber dafür kannst du nach deinem Ermessen darüber verfügen oder dir ein Nadelgeld ansparen. Wenn du irgendwann einmal gehen willst, so werde ich dir ein Zeugnis ausstellen und zusehen, daß du auf eine gute Stelle kommst. Du kannst hier bei mir viel lernen.« Sie sah mich direkt und forschend an.
Ich konnte vor Staunen und Freude einen Augenblick lang nichts sagen. Dann stand ich nur auf und kniete vor Karoline nieder, nahm ihre beiden festen Hände in die meinen und küßte sie. Sie erschrak und entzog mir hastig ihre Finger. »Du bist russischer als ich dachte!« lachte sie dann. »Heißt das ja? Ich kann deine Hilfe gut gebrauchen! Und du scheinst mir ein gutes Mädchen zu sein!«
Ich nickte so hastig, daß mein Zopf in meinem Nacken nur so flog. »Ja, ja, ja! Natürlich will ich bleiben!« lachte ich ungläubig. Karoline musterte mich einen Augenblick lang prüfend.
»Gut. Dann lassen wir dir die Magdstube neben der Küche einrichten. Dort hast du es warm. Aber Martha – zwei Dinge.« Sie hatte einen seltsamen Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Ja?« fragte ich erstaunt.
»Ich dulde weder Unzucht noch Lügen in meinem Haus.«
Ich fuhr erstaunt auf.
»Das ist nicht auf dich bezogen, sondern eine allgemeine Regel«, beruhigte sie mich. »Aber: Ich denke, daß es in deinem Leben viele Dinge gab, über die du nicht sprechen möchtest. Das erkenne ich an. Gott hat mir die Sünde der Neugierde erspart, und ich danke ihm jeden Tag dafür! Jedes Herz hat seine Geheimnisse. Aber wenn du etwas sagst oder mir etwas erzählst, dann muß es die Wahrheit sein, hast du verstanden?« Sie sah mich ernst an. Ich spürte, daß sie in diesem Punkt keinen Spaß verstand.
Ich nickte stumm.
»Und was die Unzucht angeht – nun, ich bin nicht blind. Die Burschen auf dem Markt haben ja schon verrenkte Hälse, weil sie dir so nachstarren. Das ist nicht deine Schuld, Martha – ich sehe, daß du demütig und bescheiden bist. Dennoch …« Sie lehnte sich nach vorne und klopfte mir vertraulich auf den Busen, den ich in ihr etwas zu enges Kleid gezwungen hatte.
»Den hältst du mir schön unter Verschluß. Ich halte nichts von schwangeren unverheirateten Mädchen unter meinem Dach. Außerdem ist mein Ernst auch nur ein Mann. Hast du mich verstanden?«
Meine Wangen brannten wie Feuer. Dennoch war ich ihr für ihre Worte dankbar, und ich nickte wieder. Ich schwor mir, daß ich mich ihrer Hoffnungen würdig erweisen wollte!
Karoline Glück umarmte mich kurz. »Ich bin froh, daß du bleiben möchtest! Vielleicht kannst du Johannes und Friedrich noch etwas Ordnung beibringen! Und Ulrike mag dich gerne. Dabei ist sie so ein Prinzeßchen!« Sie lachte kurz. »Geh jetzt, Martha – es gibt jede Menge zu tun, bis du eingerichtet bist! Willkommen in der Familie Glück!«
Sie griff wieder zu dem Haushaltsbuch. »Ich bin hier noch lange nicht fertig. Sag’ der Küche wegen des Abendessens Bescheid: Fischpastete, geschnittene Karotten und Fladen! Dazu nur Wasser und Tee.«
Ich nickte, machte einen unbeholfenen Knicks und eilte nach draußen.
Im Gang kniete ich auf dem kalten Steinfußboden nieder: Das Pfarrhaus war das erste Haus aus Stein gewesen, das ich je betreten hatte. An der mit Kalk geweißten Wand hing ein schlichtes Holzkreuz, und ich betete murmelnd ein unbeholfenes Vaterunser auf deutsch. Ich hatte es in den letzten Wochen in der lutherischen Kirche immer und immer wieder gehört und konnte es fast auswendig. Mein Gott hatte mich an Wassili verkauft. Der Gott der Glücks hatte mich gerettet und mir das Leben wiedergegeben. Ihm wollte ich folgen.
Das Leben im Hause Glück war heiter, obwohl ich viel zu tun hatte. Der Zusammenhalt der Familie erfüllte das Haus mit Freundlichkeit und Wärme. Ich liebte schon bald die kleine Ulrike von Herzen. Sie erinnerte mich an Anna, auch wenn sie sehr verwöhnt war. Die beiden Söhne Friedrich und Johannes sah ich kaum. Sie waren etwas älter als ich, und Ernst Glück unterrichtete sie gemeinsam mit anderen Bürgerssöhnen seiner Gemeinde in einem kahlen, ungeheizten Raum im oberen Stockwerk des Pfarrhauses Tag für Tag in verschiedenen Fächern, von denen ich noch nie etwas gehört hatte.
Wie konnte ein Mensch nur soviel
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