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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Es sah aus, als wollte sie gleich weinen. Alle schwiegen erwartungsvoll, um Ernst Glücks Antwort zu hören.
    Auch ich war gespannt – man hörte so viel über den sagenumwobenen Zaren der Russen! Er schien Rußland mit aller Kraft von Grund auf verändern zu wollen! Ich erinnerte mich noch an den Zorn, der in Walk herrschte, als die dort ansässigen Russen sich glattrasieren sollten. Natürlich trugen sie hier auf dem Lande, das nicht einmal Rußland angehörte, weiter ihre Bärte und ihre russischen Gewänder – aber innerhalb der Reichsgrenzen ließen die Männer des Zaren sicherlich nicht mit sich scherzen! An jeder Stadtmauer in Rußland ließ Peter Puppen mit deutschen Kleidern anbringen, nach deren Schnitt sich die Schneider unter Androhung von schweren Strafen zu richten hatten. Da halfen alle Klagen und Beteuerungen von Armut und Alter nichts. Das russische Wetter lud nicht gerade zu tief ausgeschnittenen Kleidern ein, aber Peter ließ sich nicht erweichen.
    »Führte Peter nicht in unserem Land Krieg, so sollte man ihn hemmungslos bewundern!« meinte Ernst Glück schließlich.
    »Weshalb denn das?« fragte Johannes erstaunt.
    »Das habe ich doch schon in meinem Unterricht erklärt!«
    Johannes verdrehte kurz die Augen zur Decke. Er war ein ausgesprochen hübscher junger Mann mit blauen Augen und weichen braunen Haaren. Dazu war er großgewachsen, mit breiten Schultern und langen Beinen. Die Mädchen der Stadt kamen in letzter Zeit besonders pflichtbewußt zum Gottesdienst.
    »Johannes!« mahnte ihn seine Mutter sofort.
    »Es stimmt doch!« verteidigte er sich. »Schließlich ist der Zar unser Feind! Er will uns schlucken, mit Haut und Haar! Das waren dann die freien baltischen Länder! Nichts als eine Erinnerung! Eine Geschichte, die man den Kleinen vor dem Zubettgehen erzählt wie ein Märchen! Denn was der Russe einmal hat, das gibt er nicht wieder her! Vielleicht ziehen unsere Länder nun in mehrere Jahrhunderte Gefangenschaft! Und dieser Unsinn, wir seien von jeher russischer Besitz! Soll er doch in seinem Moskau bleiben! Was will er hier im Westen? Was will Rußland von uns?«
    Ulrike bekam vor Staunen über den gefühlvollen Ausbruch ihres älteren Bruders Schluckauf.
    Ernst Glück überlegte eine Weile, ehe er seinem Sohn antwortete. »Sicher, du hast teilweise recht, wir sind in diesem Krieg nur ein hilfloses Faustpfand. Beide, sowohl Peter als auch Karl haben keinen Anspruch auf unser Land. Aber Peter muß in den Westen! Sonst kann sein Reich auf Dauer nicht überleben! Er benötigt für seine Schiffe einen das Jahr über eisfreien Hafen, und der ist ihm in Archangelsk nicht garantiert! Und Asow am Schwarzen Meer kann ihm jeden Augenblick von den Türken wieder weggenommen werden. Außerdem ist er nicht der erste seiner Familie, der sich nach Westen wendet. Es wird Zeit für die russische Bärin!«
    »Weshalb ist er nicht der erste seiner Familie, der sich für den Westen und Europa interessiert?« fragte ich.
    »Schon seine verstorbene Mutter, Natalja Naryschkina, wuchs im Hause von Artamon Matwejew auf – und ihr wißt, wie ich ihn als fortschrittlich denkenden Gelehrten verehre!«
    Johannes und Friedrich nickten beide.
    »Und außerdem, denkt doch an seine Stiefschwester Sophia!« fügte er dann hinzu.
    »Dieses anmaßende Weib!« meinte Friedrich nur. Seine Mutter sah ihn kühl an und fragte: »Weshalb anmaßendes Weib? Weil sie sich als Frau das Recht auf Erziehung und ein Leben außerhalb des verdammten terem herausnahm? Sie war eine gute Herrscherin, als sie die Geschäfte für den jungen Zaren Peter wahrnahm!« mahnte sie ihn ab.
    »Was ist ein terem ?« unterbrach ich wieder.
    Karoline antwortete mir. »Ein abgeschlossener Bereich des Hauses, in dem die adligen und wohlhabenden russischen Frauen leben. Sie zeigen sich Fremden und Besuchern nicht und auch keinem Mann, der nicht zur Familie gehört! Aber Sophia hat ihren Vater, den alten Zaren Alexej, dazu überredet, ihr gemeinsam mit ihren Brüdern eine echte Erziehung zu geben. Und weil Peter nach dem Tod ihres Vaters noch ein Kind war, hat sie ihn zwar gemeinsam mit seinem schwachsinnigen Halbbruder Iwan auf den Thron gesetzt, aber geherrscht hat in Wirklichkeit sie! Ich habe oft gehört, daß sie weise und vorausschauende Entscheidungen getroffen hat. Und im Vergleich zu ihrem Wissen kann Peter nicht einmal anständig schreiben! Aber sie ist eben kein Mann, das ist ihr großer Fehler.«
    Ich war atemlos vor Spannung. Eine Frau hatte

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