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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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auf der anderen Seite der Tür zurück.
    Bei diesen Worten ließ ich meine Vorsicht fahren, rückte den Stuhl und den Tisch, mit denen ich die Tür versperrt hatte, beiseite und öffnete sie einen Spalt. Das Messer behielt ich jedoch in der Hand. Draußen auf der Stiege, auf die meine Stubentür ging, stand eine zerlumpte Gestalt, deren Gesicht im Halbdunkel lag, aber ich erkannte den Mann dennoch. Er war regelmäßig zur Speisung ans Pfarrhaus gekommen, und ich hatte ihm oft Suppe und Eintopf in seine Schale geschöpft.
    »Was ist die Nachricht der Glücks?« fragte ich hastig. Mir war die Lage noch immer nicht geheuer. Er rückte etwas näher, und sein Gestank nach Schweiß und Pisse ließ mich unwillkürlich zurückweichen. Er sah sich zweimal vorsichtig über die Schulter um. Überall in der Garnison lungerten russische Soldaten herum, die sich sicher gerne grausame Scherze mit Boten wie ihm erlaubten. Die Russen schnitten dabei mit Vorliebe Nasen und Ohren ab oder brandmarkten ihre unglücklichen Opfer wie Vieh auf Stirn und Brust. Es gab auch Geschichten, in denen Mützen auf Köpfe genagelt wurden oder die Bürger von Marienburg Spießruten laufen mußten.
    »Dein Mann …, er lebt! Er ist hier in Marienburg. Aber er ist schwer verletzt, und Karoline Glück meint, er wird die Nacht nicht überleben. Alles was er sagt, ist dein Name!« Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, als er sprach.
    »Wo ist er? Bei den Glücks im Pfarrhaus?« fragte ich ihn hastig, während ich schon mein Umschlagtuch vom Haken neben der Tür nahm. Johann lebte, aber vielleicht nur noch eine Nacht lang! Ich schämte mich plötzlich für meine narrenhafte Liebe zu Johannes. Mein Mann war immer gut und geduldig zu mir gewesen! Wenigstens konnte ich nun, da er starb, seine Hand halten!
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, das Pfarrhaus ist schon seit zwei Tagen, seit Beginn der Kämpfe, voll mit Verwundeten. Es ist entsetzlich dort! Überall sind Leiber, die sich mehr tot als lebendig winden! Aber die Pfarrersfrau will Johann Trubach im Spital im Rathaus gesehen haben.«
    Ich überlegte kurz. Das Rathaus lag auf der anderen Seite der Stadt. Das war zu dieser Stunde ein weiter Weg – und er wurde noch weiter und gefährlicher, wenn es überall russische Soldaten gab, die trotz des Verbotes durch General Scheremetjew alles, was Röcke trug, mißbrauchten, vom zehnjährigen Mädchen bis zur zahnlosen Großmutter.
    Der Bote vor meiner Tür bewegte sich von mir weg. »Ich muß jetzt gehen. Zu viele Russen hier für meinen Geschmack. Ich will noch weiterleben …, wenn du nicht heute Abend noch gehst, wird er sterben. Er ist zu schwach und verliert zuviel Blut, um die Nacht noch zu überleben. Ich muß jetzt gehen!« sagte er noch einmal dringlich. Dann war er verschwunden. Ich hörte seine Schritte auf der Stiege, die in den Hof der Garnison hinunterführte, verhallen.
    Ich zögerte nicht einen Augenblick lang. Wenn ich jetzt nicht zu Johann lief, dann sollte ich mein Leben mit meiner Schuld ihm gegenüber verbringen! Ich trug nur einen langen Leinenrock und eine ärmellose Tunika, deren Ausschnitt ich in den langen Abenden meines Alleinseins mit zarten Blütenranken bestickt hatte. Ich wollte, daß Johann mich ein letztes Mal hübsch und sauber sah. So band ich mir meinen besten Gürtel zu einer schlichten Schleife und schlang rasch mein Haar in einen dichten Knoten. Dann wickelte ich das große dunkle Tuch mit den eingewebten Blumen um meinen Kopf und meine Schultern. Johann hatte es mir vor seinem Abzug ins Feld geschenkt. Wenn ich den Kopf gesenkt hielt, schnell lief und Gott mich behütete, so sollte ich das Rathaus und Johann noch lebend erreichen! Das war ich ihm schuldig.
     
    Die Straßen Marienburgs waren leer. Es stank noch immer nach Pulver und Tod, und in den scharfen Geruch mischten sich Schwaden von Wodkadunst: Die russischen Soldaten feierten ihren Sieg. Das Tageslicht war bereits dem bleichen Schimmer der Nacht gewichen. Die weiße Nacht erschien mir nun wie ein Fluch: Alles um mich war grausam licht und hell, so daß ich mich nur von Mauer zu Mauer drücken konnte, um nicht gesehen zu werden. Alle Straßen waren vom Kampf und von den russischen Kanonen aufgerissen. So mußte ich jeden Schritt vorsichtig setzen, um nicht zu fallen. Wann immer es ging, lief ich, so schnell ich es konnte, hinter rauchende Trümmer geduckt durch die menschenleeren Gassen, um verlorene Zeit aufzuholen. Mein Herz schlug mir bis zum

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