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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Blick und wurde bis über beide Ohren rot. Ich verstand, daß er es gewesen war, der die Blutung gestillt hatte und mir einen behelfsmäßigen Rock aus einer Decke umgewickelt hatte. Meine bestickte Tunika trug ich noch, aber sie war an den Armen und am Rücken zerrissen. Ich lag auf einem Feldbett auf dem Mantel, den Scheremetjew mir um die Schultern gelegt hatte. Ich setzte mich auf und schlang mir den Mantel um die Schultern. Der weiche Pelz fühlte sich angenehm auf meiner zerkratzten Haut an. Mir wurde schwindelig, und der Adjutant fing mich sofort auf.
    »Der Marschall wird gleich kommen. Willst du etwas essen, damit du Farbe in die Wangen bekommst? Er will dich stark und gesund sehen!« sagte er.
    Es war mir gleichgültig, wie der Russe mich sehen wollte – aber ich starb vor Hunger, und so nickte ich heftig. Der junge Mann lachte zufrieden und lief aus dem Zelt. Als er die Plane aus schwerem, gewachstem Tuch anhob, drang der warme Sonnenschein unseres Septembers in das Zelt. Ich mußte die Nacht und den halben Tag durchgeschlafen haben! Einige Staubflocken tanzten durch das Zelt, und ich kniff wie geblendet die Augen zusammen.
    Ich stützte mich auf meine Ellenbogen und sah mich in dem Zelt um. Auf dem Boden lagen weiche und reichgemusterte Teppiche, die sich an den Kanten überlappten. Der, der hier wohnte, mußte seinen Fuß weder auf die Plane noch das Gras setzen. Ich legte den Kopf schief. Die geknüpften Muster auf den Teppichen erinnerten mich an die Stoffe in Wassilis Lager. An einigen Stellen bildeten sie Wellen, dort, wo die Knüpferin sich den Teppich bei der Arbeit über ihr Knie gelegt hatte. Ansonsten war die Einrichtung in dem Zelt sehr schlicht. In einer Ecke war ein langer Tisch aufgeklappt, auf dem, wie ich sehen konnte, zahlreiche Land- wie auch Seekarten durcheinanderlagen. Davor standen drei Stühle. Über den einen war nachlässig eine schimmernde Pelzdecke geworfen. Neben meinem Feldbett stand eine schwere Kommode mit einem Schloß aus Eisen. Der Riegel war vorgeschoben und das Schloß daran versperrt. Auf dem Boden vor meinem Bett stand ein Tablett mit Essensresten. Hatte jemand hier gesessen und neben mir gegessen, als ich schlief? Ich beugte mich über den Rand der Liege und schnupperte daran wie ein kleiner Hund. Die Speisen dufteten frisch. In dem Becher aus Messing waren noch einige Schlucke Wein, und auf dem Holzteller lag ein Stück weiches Brot mit Kümmel neben einigen Stücken Brathuhn. Obwohl das Fleisch kalt war, konnte ich das knusprige Fett der knusprigen Haut riechen, und dies war zuviel für meinen geschwächten Körper: Ich konnte einfach nicht mehr auf den jungen Adjutanten warten! Schon in den letzten Tagen waren die Vorräte in Marienburg knapp geworden, da alle verfügbaren Lebensmittel in das Lager der Russen geliefert werden mußten. Ich hatte nur von etwas Gemüse, Haferschleim und saurem Brot mit Wasser oder tschai gelebt.
    So schluckte ich gierig den Wein hinunter, stopfte das Stück Brot hinterher, wobei ich genüßlich den Kümmel mit den Zähnen knackte. Das weiche, weiße Fleisch des gebratenen Huhns zerriß ich mit meinen Zähnen. Ich nahm mir kaum Zeit zum Kauen, sondern schob mir alles gleichzeitig in den Mund. Kein Wunder, daß ich vor Schreck und Husten fast erstickte, als ich vom Eingang des Zeltes her Gelächter hörte. Ich hob den Kopf, Krümel um den Mund und das halbe Hühnerbein in der Hand, das Gesicht rot vor Luftmangel: Vor mir stand Boris Petrowitsch Scheremetjew, der Sieger von Marienburg. Er trug nun einen langen schwarzen Mantel, auf dem ein weißes, schillerndes Kreuz eingestickt war.
    »Du hast schon wieder Hunger, Mädchen! Das ist ein gutes Zeichen!« Er nahm von dem Tisch mit den Landkarten eine Flasche mit Wein. Er schenkte den Becher in meiner Hand voll. »Hier. Das hilft. Sowohl beim Heilen als auch beim Vergessen. Glaub mir.«
    Er zog sich einen der Stühle an mein Lager und streckte seine Beine aus. Seine Beinkleider waren schmal und aus fast ebenso dunklem Stoff wie sein Mantel geschnitten. Die Stiefel glänzten trotz des Matsches im Lager, und sie waren über dem Schienbein bis hinunter zum Fuß geschnürt. Ich musterte verstohlen sein Gesicht. Er schien mir uralt zu sein. Das Haar an seinen Schläfen war weiß, und sein vom Wetter gegerbtes Gesicht war so von Falten durchzogen wie die trockene, rissige Erde während unserer baltischen Sommer. Seine Nase war groß und gebogen wie die eines Raubvogels und sein Mund voll und

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