Die Zarin (German Edition)
Pernau und wird bald ein Mädchen heiraten, das ihn weiterbringt. Ich weiß, es ist hart. Aber: Vergiß ihn!«
»Ich kann nicht!« Ich schrie meine Worte fast heraus, und einige Leute auf der Straße drehten sich nach uns um. So senkte ich meine Stimme zu einem Flü stern. »Ich erwarte sein Kind, Johann! Verstehst du? Sein Kind! Du wirst doch keine Frau heiraten wollen, die das Kind eines anderen trägt?«
Er sah mich ruhig an. Zu meinem Erstaunen zog er mich an sich und hielt mich fest. Wieder drehten sich Leute nach uns um, und ein Spielmann nahm die Flöte von seinen blaugefrorenen Lippen und lachte uns an. Johann schien unendlich befreit zu sein: »Das ist ja wunderbar!« Er drückte begeistert meine Schultern mit seinen Händen und schüttelte mich leicht.
»Was?« Ich war so verwirrt, daß ich keine Worte fand.
»Martha – das macht es mir nur leichter, dir zu sagen, was ich dir vor morgen auch noch sagen muß!«
Ich schwieg nur und sah ihn abwartend an.
»Martha – ich kann keine Kinder mehr haben. Ich kann nicht einmal meine ehelichen Pflichten erfüllen. Aus. Tot. Vorbei. Vielleicht war es eine Verwundung oder auch die langen, kalten Winter in der Festung von Riga. Ich kann dir nur ein halber Mann sein. Aber deinem Kind werde ich ein ganzer, guter Vater sein – das verspreche ich dir!«
Was gab es darauf zu erwidern? Am folgenden Nachmittag wurde ich Johann Trubach angetraut. Ich trug dabei ein hellgraues, hochgeschlossenes und von Karoline Glück geliehenes Kleid. Ich war nun eine anständige Frau. Am Abend speisten wir zur Feier bei Wein und Brot: Die Köchin tischte einen mit Innereien und Äpfeln gefüllten Truthahn auf, und danach schnitten wir die Dreikönigspasteten an. Ich fand den Glücksbringer in meinem Stück.
Die folgenden Monate waren lang und zäh. Sollte dies nun mein Leben sein? Johann war mir in der wenigen Zeit, die wir beisammen waren, ein guter Mann. Wir hatten eine kleine Stube in der Garnison – gerade ein Tisch, zwei Bänke und ein schmales Bett, in dem wir gemeinsam schliefen. An der Wand waren zwei Haken angebracht, an denen unsere Kleider hingen. Johann lieferte seinen Sold fast vollständig bei mir ab, betrank sich nur an Freitagen bis zur Besinnungslosigkeit und erhob nie die Hand gegen mich. Nach einem Monat wurde er wieder ins Feld gerufen. Ich fühlte mich nach der frohen Zeit bei den Glücks sehr alleine. Ich besuchte Karoline Glück jedoch nur selten, denn alles dort im Pfarrhaus erinnerte mich an Johannes. Ich versuchte, mir ein neues Leben zu schaffen. Die einzige Freundin, die ich damals hatte, war meine Nachbarin Karin. Ich erinnere mich an einen Abend im Mai, als Johann schon Monate im Feld war: Karin saß bei mir am Tisch, und ich hatte einige Hemden für Herrschaften in der Stadt ausgebessert. Wir beide hatten etwas kwas in unseren Schalen, die vor uns auf dem Tisch standen. Karins beide Söhne und ihr Mann standen im Feld gegen die Russen, und der Tabak war das einzige, was ihr in ihrem Leben noch Trost bot. Dennoch, es widerte mich an, wenn sie laut schmatzend ausspuckte und mit der roten Soße aus Spucke und Tabak den dafür gedachten Topf neben der Tür verfehlte. Ich selber kaute nicht den billigen Tabak, denn dazu hing ich zu sehr an meinen weißen, gesunden Zähnen. Frauen wie Karin bekamen unweigerlich tiefrot verfärbtes Zahnfleisch und faulige Zähne.
Karin spuckte gerade wieder aus, traf ausnahmsweise genau in den Topf und griff dann nach meiner Hand: »Laß mich in deiner Hand lesen, meine Fee! Wir wollen doch wissen, was das Leben für ein Goldstück wie dich noch auf Lager hat! Johann ohne Saft und Kraft kann doch nicht alles sein!« Sie kicherte schmutzig und drehte meine Hand nach oben. Ich konnte sehen, daß sich auf meiner Handfläche lange Linien tief kreuzten. Karin runzelte die Stirn und beugte sich darüber. Nach einiger Zeit schüttelte sie den Kopf und meinte: »Kind, sag’ mal, du mußt dir die Hand von jemand anderem geliehen haben!«
»Weshalb, was siehst du? Werde ich immer glücklich sein? Und mein Kind? Was wird es werden?«
Sie schwieg wieder. »Ich sehe eine besondere Liebe. Ich sehe viele Reisen. Du bist gesund wie ein Roß, das wird dich oft retten. Du wirst ein starkes Leben haben – eines, für das du nicht geboren bist!«
»Reisen? Mit Johann? Und eine besondere Liebe? Ist sie glücklich und erfüllt?«
Sie formte meine Hand zu einer Faust und zählte stumm die kleinen Falten, die sich unterhalb des kleinen
Weitere Kostenlose Bücher