Die Zarin (German Edition)
sein! Als ob der sich noch hier in diesen stinkenden Gassen herumtreiben würde! Der sitzt längst bei Menschikow im Zelt und feiert!«
Es wurde einen Augenblick still in der Gruppe der Männer. Alle sahen zu dem Mann, der sich sehr gerade in seinem Sattel hielt. Er trug einen schimmernden Brustpanzer und einen rundum mit Pelz verbrämten Mantel, der ihm bis an die Knie reichte, und der von einer großen goldenen Brosche mit dem Bildnis eines Mannes über der Brust zusammengehalten wurde. Zudem spannte sich noch eine hellblaue Schärpe über seine Brust. Seine enganliegenden Hosen waren aus Leder, ebenso wie die Stiefel, die bis über seine Knie reichten. Sein Kopf war jedoch unbedeckt, und er war glattrasiert. Er ließ seinen unruhigen Rappen einmal kurz kreisen und sagte dann zu dem Soldaten, der den Lumpen festhielt: »Schneid’ ihm die Zunge ab. Greift euch den anderen, und greift euch auch den Lumpen, der wie eine Hase davongerannt ist. Dreißig Schläge mit der neunschwänzigen Katze werden ihnen guttun.«
Der Adjutant zögerte nicht: Er griff zu seinem Messer, zwang dem Mann den Kiefer auf, zog ihm die Zunge aus dem Mund und trennte sie dem entsetzt gurgelnden Soldaten mit einem einzigen Schnitt ab. Dann warf er sie ihm vor die Füße.
»Da, wenn du nach der Peitsche noch lebst, kannst du sie dir für deinen Ungehorsam gegenüber dem General zum Abendessen braten! Wenn es nach mir ginge, sollte man dir den Schwanz auch noch abschneiden!«
Der Mann fiel auf die Knie und heulte laut auf. Das Blut strömte aus seinem Mund, und der Anblick bereitete mir tiefe Befriedigung. Nun sollte er lernen, was Schmerz bedeutet! Die Reiter stiegen wieder auf. Da sagte der junge Adjutant: »Und das Mädchen? Wir können sie doch hier nicht so liegenlassen?«
Scheremetjew zögerte kurz. »Steh auf, Mädchen«, befahl er mir dann. Ich sammelte meine schmerzenden Glieder und zwang mich schwankend auf. Ich blutete und zog schamhaft meine kurze Tunika über meine Hüften.
»Verdammt, diese Schweine!« sagte der General und stieg zu meinem unendlichen Erstaunen von seinem Pferd. Die Welt um mich verschwamm, und ich sah nur noch diese eine hohe Gestalt, die wie durch eine dunkle Gasse auf mich zukam. Er strich mir die Haare nach hinten aus dem Gesicht. Dann legte er beide Hände um meinen Kopf und hob mein Gesicht ins weiße Licht der Nacht. Er fluchte leise und nahm sich mit einer Hand den Mantel von der Schulter. Wie im Traum spürte ich nur noch, wie er den weichen, dunkelgrünen Stoff um mich wickelte und der weiche Pelz daran meine Gesicht streifte. Er schob mich zu seinem Pferd. Der General stieg auf und befahl seinem Adjutanten: »Hilf ihr auf. Sie ist zu schwach und zu verwundet, um selber aufzusteigen. Und für die drei Lumpen – fünfzig Schläge mit der neunschwänzigen Katze. Fünfundzwanzig auf ihre untere Körperhälfte!«
Mit diesen Worten zog er mich zu sich hoch und rückte mich vor sich im Sattel zurecht. Der grobe Stoff seiner Uniform kratze an meiner Wange. Ich begann wieder zu weinen. Meine beiden Peiniger begannen nun um Gnade zu flehen, aber der Adjutant zog ihnen noch eines mit seiner Reitpeitsche über. Scheremetjew wickelte den Mantel wärmer um mich und sagte noch: »Halt’ dich fest, Mädchen. Wir reiten zum Lager zurück.«
Dann wurde ich ohnmächtig. Gott hatte mich wieder leben lassen.
Jemand klapste mir sanft ins Gesicht und hielt meine Beine hoch, so daß das Blut in meinen Kopf floß. Als ich die Augen aufschlug, sah ich in ein besorgtes, freundliches Gesicht. Ich wußte weder, wer der junge Mann war, noch wo ich mich befand. Er griff mich unter den Nacken und fuhr mit einem nach Alkohol riechenden Tuch über meine Stirn.
»Erinnerst du dich an deinen Namen? Wie heißt du? Erinnerst du dich, wie du hierhergekommen bist?«
Ich nickte schwach. »Martha …«, murmelte ich. »Die Soldaten …, Johann ist doch im Spital …« Ich sprach deutsch, und er sah mich nur verständnislos an. Jetzt fügte sich meine Erinnerung wieder zusammen, und der Schmerz in meinem Körper erfaßte mich wie eine Welle, die mich mit sich forttrug. Der junge Mann wischte mir wieder über die Stirn.
»Du bist im Zelt von Feldmarschall Scheremetjew. Er hat dich in Marienburg gerettet, als …«
Ich hob schwach die Hand. »Ich weiß«, sagte ich auf russisch. Ich hatte wirklich kein Verlangen, an das furchtbare Geschehen erinnert zu werden. Vorsichtig sah ich an mir hinunter. Der junge Adjutant folgte meinem
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