Die Zarin (German Edition)
bestimmt. Ein angenehmes Gesicht, entschied ich für mich. Der junge Adjutant kam mit mehr Huhn, Brot, eingemachtem Obst und Bier zurück. Scheremetjew nahm sich ein Stück Huhn von meinem Teller, und wir aßen schweigend. Ab und an musterten wir uns gegenseitig. Erst als mein Hunger gestillt war, sah ich ihn direkt an.
»Weshalb hast du mich gerettet, Marschall Scheremetjew?«
Er musterte mich schweigend. Dann zuckte er die Schultern. »Ich weiß es nicht. Es ist wahr, ich habe schon hundert- oder tausendmal gesehen, wenn meine Männer mit Mädchen machten, was mit dir geschehen ist. Vielleicht war dieses eine Mal einfach zuviel. Vielleicht bin ich müde. Vielleicht gefielst du mir auch, obwohl du zu Tode blaß und blutend warst. Wer weiß? Wir werden sehen.«
Er wollte über mein Gesicht streichen, doch ich zuckte unwillkürlich zurück. Er lachte kurz und, wie mir schien, bitter auf. »Keine Angst, Mädchen. Scheremetjew hat noch keine Frau zu etwas gezwungen, was ihr nicht auch gefiel. Wie heißt du überhaupt?«
Ich schämte mich für meine Angst. Ohne ihn wäre ich jetzt tot, und mein Körper läge geschunden und zerrissen in der Gasse. »Martha«, flüsterte ich und zog seinen grünen Mantel noch fester um mich.
»Schlaf jetzt, Martha. Dann sehen wir weiter«, sagte er freundlich und wollte aufstehen.
In diesem Augenblick drückte ihn eine schwere Hand von hinten in seinen Stuhl zurück.
Wir beide hatten den großen blonden Mann das Zelt nicht betreten hören. Das Sonnenlicht, das er mit sich hereinbrachte, brach sich an den goldenen Ringen mit den Edelsteinen, die er an allen Fingern trug. Der Adjutant stand so stramm, wie ich es für ein menschliches Wesen nicht für möglich gehalten hätte. Scheremetjew zuckte zusammen, drehte sich rasch mit einer Hand an seinem Dolch um und fiel dann wieder in seinem Stuhl zusammen.
»Menschikow! Was willst du noch? Wir haben doch alles gerade besprochen!« seufzte er.
Der blonde Mann lachte laut auf und drückte Scheremetjew auch noch mit seiner zweiten Hand auf den Stuhl nieder. »Ach ja? Und weshalb rennst du dann immer noch in dieser Verkleidung durch die Gegend, Boris Petrowitsch? Du weißt, wie sehr mir das auf die Nerven geht!« Er zog verächtlich an dem schwarzen Mantel mit dem großen weißen Kreuz, das in dem matten Licht im Zelt aufleuchte.
Scheremetjew lachte nun auch. »Genau deshalb trage ich ihn ja, Alexander Danilowitsch! Nur um dir zu zeigen, daß es Unterschiede gibt, die immer bestehen werden, kaiserliche Gnade hin oder her.«
Er befreite sich mit einem Ruck von den Händen Menschikows, stand auf und sah den Mann ruhig an. Er war um einen Kopf kleiner als sein Gast, aber er strahlte durch seine aufrechte Haltung sehr viel Würde aus. Menschikow wurde rot vor Zorn. Er spuckte aus, Scheremetjew direkt vor die Füße. Ich sah vorsichtig zu dem jungen Adjutanten. Man konnte deutlich sehen, daß er nicht wußte, wie er handeln sollte. Dann grinste Menschikow wieder und antwortete: »Pah! Auf diesen Unfug kann ich verzichten! Denkst du, ich will einem Orden wie dem der Malteser angehören? Weichlinge mit acht Vorfahren von edlem Blut, das nun in ihren schlaffen Adern rollt! Sie verachten Menschen wie mich nicht wirklich, sondern sie fürchten uns eher! Ich habe mir alles selbst erschaffen! Ich brauche kein Kreuz über meinem Arsch zu tragen, um meine Eier und meinen Schwanz zu finden, glaub mir das!«
Boris Petrowitsch lachte nun wieder. »Es erheitert mich immer wieder, wie einfach es ist, Alexander Danilowitsch Menschikow, dich zu beleidigen. Du mußt lernen, dich besser zu beherrschen. Das ist das erste Merkmal eines Fürsten.«
Menschikow knurrte etwas Unverständliches über diese Lehrstunde in fürstlichem Betragen und wischte dann eine leichte Ohrfeige über Scheremetjews Kopf. Anstatt den Streit weiterzuführen, sagte er nur: »Gib mir lieber was zu trinken, anstatt hier Blödsinn zu reden.«
Mit diesen Worten ließ er sich auf den Stuhl fallen, auf dem vorher Scheremetjew gesessen war. Er bückte sich nach dem Teller mit dem Huhn und sah mir dann direkt und, wie mir schien, sehr erstaunt in die Augen.
»Scheremetjew! Ein Mädchen in deinem Zelt! Bei der verdorbenen Seele der Regentin Sophia, der Teufel halte sie ewig in seinen Klauen! Das ist noch nie geschehen! Ist die Erinnerung an deine alte und runzelige Frau nach zwei Jahren Feldzug endlich verflogen!?«
Ich wickelte mich unwillkürlich fester in Scheremetjews Mantel und schlang
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