Die Zarin (German Edition)
faßte sie mich am Arm und sagte: »Komm, laß uns jetzt schnell fahren, ich habe Hunger! Und im Gasthaus sollte es jetzt guten, fetten Lachs mit Kartoffelfladen geben und dann warmen Pfefferkuchen zum tschai ! Und ich will so viele Gläser Moskauer Wodka trinken, daß mir die Sinne schwinden! Morgen werden wir länger brauchen, weil wir die Kontrollen passieren müssen. Zudem werden uns andere Schlitten entgegenkommen, die wir begrüßen müssen!«
Wir stolperten durch den Schnee zurück zu unserem Schlitten. Warwara Arsenjewa erwartete uns dort schlechter Laune: Die Kohlen in der Kupferpfanne an ihren Beinen waren erkaltet, und sie jammerte: »Wo bleibt Ihr denn! Ich habe mich bestimmt während des Wartens auf Euch verkühlt!« Anna Menschikowa steckte die Hand in dem reich bestickten Handschuh aus dem Fenster ihres Schlittens und gab damit das Zeichen zum Aufbruch. Am Abend im Gasthaus aß und trank der ganze Troß so reichlich von dem angebotenen weichen Brot, dem fetten Lachs, dem körnigen Kaviar, dem getrockneten und geräucherten Wild und dem gebratenen Geflügel, dem weichen Käse, der scharf gewürzten Wurst, den dampfenden Pasteten von Zunge und Innereien, dem würzig eingemachten Rettich und Kohl und den blauen Eiern in einer Soße aus Senf und Rahm, daß dem armen Wirt wohl kein Haar auf dem Kopf blieb, geschweige denn ein Faß Wodka oder Branntwein in seinem Keller. Unsere kleine Gruppe summte wie ein Bienenstock vor Aufregung über die Ankunft in Moskau. Ich hörte den Geschichten, die erzählt wurden, genau zu: von den Menschen, denen ich begegnen sollte, und den teilweise seltsamen Sitten, nach denen auch ich nun zu leben hatte. Zur Nacht schwirrte mir der Kopf vor Namen und Geschichten, und ich fiel in einen bleischweren Schlaf, der mich Kraft schöpfen ließ für das Unbekannte, das vor mir lag.
Menschikows Palast war das bequemste Haus, das ich bis dahin gesehen hatte. Als er zu einem ersten Vermögen gekommen war, hatte er sich unweit des Kremlpalastes ein Haus aus Stein bauen lassen. Dann jedoch verstarb Peters verdienter Freund Franz Lefort: Sein prachtvolles Haus, das größte außerhalb des Kremls, stand leer. Der Zar schenkte es seinem Freund Menschikow. Alexander Danilowitsch ließ sich nicht zweimal bitten und zog in Leforts Palast. Es war ein weitläufiges Gebäude, das zum Teil aus Holz, zum Teil aus Stein und auch einigen Ziegeln gebaut war. Die Ritzen zwischen den Holzbalken und den Steinquadern waren sorgsam mit Pech verstrichen. Innen waren die Wände mit buntbemalten Ledertapeten beschlagen oder mit den Teppichen verhängt, die Menschikow von der Großen Reise mit Peter aus Holland und Flandern mitgebracht hatte. Moskau war damals, als ich zum ersten Mal in die Stadt kam, fast vollkommen aus Holz gebaut: Den morschen Gebäuden drohte stets ein Großbrand, und der Zar hatte mit seinen eigenen Händen zu viele Feuer in Moskau gelöscht, um nicht den Anblick der Flammen mehr als den Teufel zu fürchten. Dabei kümmerte man sich in Moskau erst dann ernsthaft um eine Feuersbrunst, wenn einige Hundert Häuser davon ergriffen waren und die rotglühenden Funken am Himmel das Abendrot verblassen ließen. Einige Jahre vor meiner Ankunft in Moskau hatte Peter Anweisung gegeben, Neubauten ausschließlich aus Stein zu errichten. Wer es sich nicht leisten konnte, ein abgebranntes Haus durch ein Gebäude aus Stein zu ersetzen, mußte seinen Grund eben an einen reicheren Mitbürger verkaufen.
Darjas Zimmer in Franz Leforts Haus waren warm und freundlich: Sie nannte die Räume der Frauen noch immer den terem – vielleicht weil sie es von Kind auf so gelernt hatte. Die Böden in den Zimmern waren mit weichen Teppichen und dicken Fellen ausgelegt. Bänke und Stühle waren mit kunstvoll bestickten oder buntseidenen Kissen bedeckt und an den Wänden hingen kostbare Ikonen: Das Gold- und Silberblech ihrer Rahmen schimmerte sanft neben den geschickt gewebten und mit Tausenden von Knoten geknüpften Wandbehängen, auf denen Jagd- und auch andere Geschichten erzählt wurden, deren genauer Sinn mir jedoch verborgen blieb. Den ganzen Tag hindurch brannten helle Feuer in den Kaminen, und Menschikow ließ in jenem Jahr im gesamten Haus Öfen einbauen, wie die Schweden sie benutzten. Sie waren bis an die Decke hochgezogen und mit Delfter Kacheln geschmückt, und heizten den gesamten Raum mollig warm. Meine eigene Stube lag zwischen Darjas Räumen und denen ihrer Schwester Warwara. Man denke sich, ein
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