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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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politischen Berater, zwei Kammerherren und drei Pagen, ein Kesselpauker und zwei Posaunisten, ein Mohr und eine Zwergenfamilie, drei Schreiber und ein halber Kirchenchor aus drei Sängern und einem Popen. Zudem zählte ich noch zwei Köche mit ihren wohlgenährten Gesellen. Die meisten von ihnen mußten sich in den Ställen der Poststationen wie die Säue in das Stroh eingraben, um in der Nacht warm zu bleiben. Die Arsenjewas und ich schliefen dicht aneinandergedrückt in den engen Stuben: Darja ließ die Betten durch ihre Dienerinnen anwärmen, die dann zusammengerollt auf der kalten Schwelle schlafen mußten.
    Die siebenhundertundsiebzehn Werst von der Schlüsselburg bis nach Moskau konnten unsere Schlitten alles von sechs Tagen bis hin zu vier Wochen kosten. Bei der Witterung, so meinte Darja, werde eher letzteres der Fall sein. Bei Anbruch des Tages, noch in vollkommener Dunkelheit, erklommen die Arsenjewas, Anna Menschikowa und ich den Schlitten: Er war wie einen kleines Haus aus buntbemaltem Holz gebaut. Die Bänke in seinem Inneren waren weich mit Kissen gepolstert, und jede von uns Frauen schlug sich eine Decke aus Nerzfellen über die Beine. Unter die Felle schoben uns die Mägde der Gast häuser noch unsere geschlossenen kupfernen Pfannen, welche sie mit glühenden Kohlen gefüllt hatten.
    Die Sonne zeigte sich erst gegen zehn Uhr am Morgen verhalten. Wir hielten am Himmel sehnsuchtsvoll nach den ersten blauen und roten Strahlen des Tages Ausschau. In den Morgenstunden war mir warm im Bauch von dem heißen Grießbrei, auf dem ein Stück salzige Butter schmolz, und dem bitteren tschai , den wir zum Frühstück von den Wirten vorgesetzt bekamen. Ich dachte nur mit Erstaunen an meine kalte, stumme Reise im Fuhrwerk nach Marienburg zurück: Was für ein Gegensatz dazu war nun dies! Die Bequemlichkeit, das gute Essen, das endlose Gelächter und die Geschichten der Arsenjewas! Anna Menschikowa reiste manchmal auch in einem eigenen Schlitten, je nachdem, ob ihr nach Gesellschaft zumute war oder nicht. Dennoch: Ich war mir sicher, ihr entging nichts.
    Die Landschaft, die vor dem kleinen, vergitterten Fenster des Schlittens an uns vorbeizog, glich sich unter der gleißenden Schneedecke von einem Tag auf den anderen. Die Zeit, die so an uns vorbeizog, konnten wir nur an einzelnen Ereignissen abmessen: etwa dem schweren Schneesturm, der unseren Kutscher zwang, in unserem Schlitten Zuflucht zu nehmen. Wir damy überboten uns darin, ihm durch unanständige Scherze die Ohren rot werden zu lassen. Warwara gewann diesen Wettbewerb. Oder die Wölfe, die eines Abends den Schlitten mit ihrem hungrigen Heulen umzingelten. Warwara Arsenjewa wurde wütend, als sie den langgezogenen, klagenden Laut hörte, und sie rief dem Kutscher zu: »Peitsch’ es weg, das Vieh! Jewdokija Lopuchina hat sie uns auf den Hals geschickt! Die Hexe! Sie sind Geschöpfe des Teufels!«
    Als die Tiere sich von ihm alleine nicht vertreiben ließen, griffen wir aus den Laden unter unseren Sitzen noch weitere Peitschen und schlugen damit auf die Tiere ein. Die Augen der Wölfe funkelten im Licht der Seitenfackeln, und der karge Winter und sein Elend hingen als Geifer an ihren Lefzen. Schließlich holte der Schlitten mit Menschikows Kammerherrn uns ein, und die Männer schossen auf die Wölfe, die sich in ein tosendes und heulendes Knäuel aus Fell, Zähnen und Blut verwandelten. Sie brauchten fünfundzwanzig Kugeln für vier Wölfe. Noch am Abend zitterten mir über den dicken weißen Bohnen mit Speck die Hände, wenn ich an den Vorfall dachte. Menschikows Männer dagegen prahlten mit ihren Heldentaten.
    Ich war froh gewesen, die baltischen Länder hinter mir zu lassen: Ihr Anblick stimmte mich zu traurig. Alles von Reval bis Riga war mit Stumpf und Stiel durch den Krieg ausgerottet. Ehemals stolze Städte waren nur noch als leere Namen auf der Landkarte vorhanden. General Scheremetjew wunderte sich ernsthaft, was er mit all der Beute anfangen sollte: Ein Schaf oder auch ein Kind konnte man schon für einen Denga kaufen. Nicht einmal eine halbe Kopeke für einen Menschen! Mein vergangenes Leben war in Rauch aufgegangen. Dennoch, sehr viel weiter als bis zum Julfest wollte ich dabei nicht denken. Menschikow hatte mich Darja Arsenjewa als Hofdame mitgegeben. Das bedeutete, daß ich Anspruch auf einen kleinen Lohn, eine Zofe und ein eigenes Zimmer in Darjas terem hatte. Ewig wollte ich jedoch nicht mit Darjas Gnade rechnen müssen. Eine Hofdame konnte von

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