Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
Vom Netzwerk:
drücken!«
    Warwara schien über die Erzählung belustigt zu sein und lachte klirrend. Ich dachte kurz an das beklagenswerte Mädchen, das ihr das Kleid verbrannt hatte. Dann sah ich nach draußen. Wir fuhren über die gesenkte Brücke in den Hof der Zarenfestung ein. Meine Augen saugten gierig alle Bilder auf, denen sie im hellen Mondlicht begegneten: Aber zwischen den tanzenden Schneeflocken lösten sie sich in einem Wimpernschlag wieder auf. War dies nicht nur ein Traum, der jeden Augenblick vorbei sein konnte? Konnte ich die Zeit nicht anhalten?
    »Was geschieht nun?« flüsterte ich aufgeregt zu Darja.
    Sie lächelte mich an, griff aus ihrem Beutel ihren Fächer und schlug ihn auf. Auf der Seide waren Bilder dargestellt, die mir die Schamesröte ins Gesicht trieben: Eine üppige, rosige Nackte wurde von einem bocksgleichen Wesen bestiegen.
    »Nun, Martha, wird die Welt auf den Kopf gestellt!« sagte Darja nur und schien meine Verlegenheit über das wüste Bild, mit dem sie sich Luft zufächelte, nicht zu bemerken. Sie machte sich bereits daran, ihrer Schwester Warwara aus der Kutsche zu folgen. »Du wirst schon sehen. Wer es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, kann es nicht glauben!« Sie legte sich einen ihrer schlanken Finger vor den gespitzten, rotgeschminkten Mund und hieß mich damit schweigen.
    Auch Warwara lachte, als sie sich das Kleid unter dem Pelzumhang zurechtklopfte. »Du kannst froh sein, wenn du die nächsten Wochen bei guter Gesundheit überstehst! Peter hat seine sehr eigene Idee vom Feiern, du wirst sehen! Gott sei Dank leben Lefort und Gordon nicht mehr, sonst wären wir gut und gerne vier Wochen lang vor Trunkenheit ohnmächtig.«
    »Wer sind Lefort und Gordon?« fragte ich noch, aber die beiden Arsenjewas gingen schon voran.
    »Peters Lehrmeister in den schönen und sündigen Dingen des Lebens! Der eine ein Schweizer, der andere ein Schotte! Und beide, wie gesagt, Gott sei Dank seit langem tot! Der Zar soll wie ein Kind an ihrem Grab geweint haben«, erklärte Darja dennoch über ihre Schulter.
    Diener rollten uns Teppiche vor die Füße, so daß wir unsere seidenen Schuhe mit den zarten Ledersohlen nicht im Schnee kaputtmachten.
     
    Wir betraten die trotz der vielen Kerzen und der Kohlepfannen dunklen und kühlen Gänge des Kreml. Diese Mauern ermahnten den russischen Untertanen zur Ehrfurcht und zwangen ihn in einen dumpfen Gehorsam: Sie sprachen von der Größe der Zaren und auch der Grausamkeit ihrer Herrschaft. Die kühle Dunkelheit dämpfte die Pracht der Farben und der Verzierungen an den Wänden. Die Luft war erfüllt von dem herben Duft nach verbrannten Kräutern, die sie rein halten sollten. Reich geknüpfte Teppiche schluckten jeden unserer Schritte. Ich wußte nicht, wohin meine Augen zuerst wenden! Die Kerzen, die in Haltern an den Wänden hingen, rochen sauer nach Fett, und ihr matter Schein wurde von den Schatten der Jahrhunderte gefangengehalten. Diener mit Kerzenständern in der Hand gingen uns mit eiligen Schritten zu einem kleineren Saal nahe den innersten Räumen des Kreml voraus: Eigentlich durften sich hier nur die Edelsten unter den Edlen des Reiches aufhalten, und nun ging hier ich, eine Seele! Wir begegneten Höflingen, die in ihren Kleidern nach der Art des Westens hölzern wirkten. Einige Popen mit langen dunklen Gewändern und einem Brustkreuz, der Panagia, starrten auf Darjas Ausschnitt und murmelten mißbilligende Worte. Sie wirkten dabei wie Krähen auf einem Winterfeld und verschmolzen mit der klammen Dunkelheit ihrer Umgebung. Die Augen der Heiligenbilder in ihren kostbaren Rahmen folgten uns kalt und spöttisch. Die Arsenjewas schritten nun schneller voran und grüßten dabei andere Höflinge mit einem anmutigen Neigen des Kopfes nach rechts und links.
    Die seltsame Kälte der Räume ließ mich frösteln. Ich erinnerte mich an die Geschichten von Peters Kindheit, die Scheremetjew mir erzählt hatte. Wie konnte ein Mann noch in den Räumen feiern, in denen seine halbe Familie vor seinen Augen aufgeschlitzt und zu Tode gemartert wurde? Wie sollte er in einem Haus schlafen, dessen Teppiche mit Blut getränkt und dessen Dach mit dem Tod der Seinen gedeckt war? Waren dies die Stufen, über welche die Strelitzen ihn an den Haaren gezerrt hatten? War es hier gewesen, wo sie den kleinen Zaren einen Hurensohn schimpften? Kein Wunder, daß er unter Alpträumen litt!
    Schon am Anfang eines langen Ganges, der an einem Paar Flügeltüren endete, begrüßten uns laute

Weitere Kostenlose Bücher