Die Zarin (German Edition)
Statt dessen ließ ich mir einen der großen Becher mit ungarischem Wein vollschenken und trank ihn in einem Zug bis zur Neige aus. Der Schenk zog beeindruckt die Augenbrauen hoch und schenkte mir gleich nach. Ich trank den Krug wieder bis zur Neige aus, und meine Laune stieg zusehends: Was für ein prachtvolles Fest!
Die Trommelschläge verstärkten sich mit einem Mal: Den Trommlern traten vor Eifer die Schweißperlen auf die Stirn. Erwartungsvolle Stille breitete sich über den Saal. Praskowja hörte auf zu reden und zu kichern, und der Zarewitsch, so beobachtete ich, setzte sich angespannt in seinen Kissen auf. Durch die Gruppe der Musikanten ging ein unruhiges Zittern: Mit einem gewaltigen Tusch wurde die Tür aufgestoßen! Herein stürmte unter Gejohle und Gelärme eine bunte Gruppe von Männern, die auf ihren Schultern einen Thron trugen. Der Mann darauf trug eine Krone und war reich gekleidet: Aber zu meiner endlosen Überraschung war es nicht der Mann, den ich als Zaren von Rußland im Lager von Marienburg in den Armen gehalten hatte! Die Männer zogen mit Getöse an mir vorbei. Alle Anwesenden erhoben sich und verneigten sich vor dem Mann auf dem Thron – und dann löste sich auf einmal der Peter, den ich kannte, selber aus dem Knäuel Menschen um den Thron. Er trug die Uniform eines friesischen Seglers, wie ich sie vor der Schlacht um die Schlüsselburg gesehen hatte. Seine schmalen Hosen und die eng geknöpften Gamaschen über den glänzende Schuhen mit den silbernen Schnallen betonten seine Körpergröße: Er überragte mit seinen fast zwei Metern alle anderen Männer. Ich entdeckte unter ihnen nun einige, die mir in den Monaten im Feld zu Freunden geworden waren: Alexander Danilowitsch Menschikow natürlich, aber auch die Prinzen Golowkin, Naryschkin und Trubetzkoi. Wen ich nicht sehen konnte und welcher doch im Feld stets in des Zaren Nähe gewesen war, das war Nikita Sotow. War ihm etwas geschehen? War er vielleicht gefallen, ohne daß ich etwas davon gehört hatte?
Peter trat in die Mitte des Raumes und verneigte sich vor dem Thron. Aus der Nähe konnte ich erkennen, was für ein häßlicher Fettwanst darauf saß. Er rief laut: »Grüßt mit mir den Prinz-Cäsar Fjodor Romodanowski! Grüßt unseren Herren, und bittet ihn, allergnädigst die trunkene Synode beginnen zu lassen!«
Er gab mit seiner rechten Hand ein Zeichen. Die Träger ließen den Thron unter übertriebenem Ächzen und Stöhnen auf einer erhöhten Stufe an einem Ende des Saales nieder. Wer auch immer der Mann auf dem Thron war, Peter selber und auch alle Anwesenden wußten offensichtlich Spiel und Wirklichkeit sehr gut zu unterscheiden! Die Menge erhob sich um ihren Zaren, der noch weiter rief: »Ihr müßt trinken, sonst gestattet er euren Wunsch nicht!«
Alles lachte und hielt den eifrigen Mundschenken die übergroßen Becher hin. Peter selbst ergriff sich einen Humpen und leerte ihn in kräftigen Zügen. Der Wein lief ihm über das Kinn auf das mit Spitze verzierte Jabot und auf die gelbe Seide seiner Leibweste, ohne daß er sich darum zu scheren schien. Als er geendet hatte, trieb er noch andere durch Klatschen zum Saufen an. Ich sah, wie er persönlich einer lachenden jungen Frau den Kiefer aufzwang und ihr den Inhalt der Tasse in den schlanken weißen Hals schüttete. Sie prustete und gurgelte, und als sie tapfer alles geschluckt hatte, preßte ihr der Zar noch einen Kuß auf die rosigen Lippen.
Ich ärgerte mich darüber: Weshalb, wußte ich nicht. So lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge. »Wer ist das?« fragte ich Darja leise und zeigte möglichst unauffällig mit dem Kinn zu dem Thron. Der fette Unhold darauf rülpste gerade und dabei verrutschte seine Krönungskappe. Darja ließ sich ihren Becher nachfüllen, doch ehe sie trank, erklärte sie: »Das ist Fjodor Romodanowski, der widerlichste, hinterlistigste und gemeinste Mensch am Zarenhof! Aber für Peter würde er sein Leben lassen oder töten – und hat es auch schon getan. Halt dich fern von ihm. Ich habe dir doch gesagt, daß heute abend die Welt Kopf stehen wird. Der Zar ist nicht der Zar heute abend, sondern nur Peter Michailow. Und Fjodor Romodanowski ist der edle Prinz-Cäsar! Peter hat ihn auch als solchen in Moskau zurückgelassen, als er vor Jahren auf die große Reise durch Europa ging. Aber diese Zeit kenne ich nur aus Erzählungen. Ich war damals noch ein Kind.« Sie fächelte sich Luft zu.
Um uns stimmte die Menge ein Lied an: Peter
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