Die Zarin (German Edition)
Musik und Trommelschläge. Ich holte tief Atem, und die Türen wurden von den Dienern rechts und links des Einganges aufgezogen. Ich kniff einen Augenblick lang die Augen zusammen: Nach der Dunkelheit und der Kälte des Ganges blendete die Helligkeit des Raumes mich. Darja kniff mich in den Arm und sagte: »Nur Mut, Martha! Trink’ und lache und danke deinem Schicksal, daß du hier bist, anstatt aus Marienburg ins Ungewisse vertrieben zu werden! Du bist hier nicht fehl am Platze – sieh dich doch um!«
Und das tat ich! Überall im Raum saßen Menschen, die reich gekleidet waren und deren Gesichter vom Trinken schon rot und lachend waren, um niedrige Tische. Die Musik spielte eine meinen Ohren fremde leichte Melodie. Hatte Peter selbst die schwere und traurige Musik verbannt, die von der ewigen Sehnsucht des russischen Gemüts sprach? Diener stemmten auf ihren Schultern Platten voller Köstlichkeiten. Ich erschrak: Trotz der Fastenzeit boten sie neben dem gebratenen und gesalzenen Fisch auch Fleisch an! Ich sah Geflügel aller Art und gebratene Wildschweine, von deren Kruste noch das Bier tropfte und denen die Köche eingemachtes Obst und Kastanien in die Schnauze gestopft hatten. Meine Augen glitten hungrig über goldene, duftende Pasteten mit Gemüse und Lachs, große Schüsseln mit sahniger Suppe, in der Stücke von Zunge und kleinen Gurken schwammen, Platten mit Lachs und Stör und die Schalen mit Kaviar, mit denen Zitronen und kleine, knusprige blini gereicht wurden. Andere Diener liefen mit Kannen von Wodka und Branntwein umher: Sie füllten den Gästen unmäßig große Becher bis zum Rand voll. Alle soffen so ungeniert, daß ihnen der Trank über das Kinn auf die schönen Kleider tropfte. Ich nahm einen der blini vom mir dargebotenen Teller: Ich tauchte ihn in die matt schimmernden dunklen Perlen des Kaviars und preßte die scharfe Zitrone großzügig darüber. Es war köstlich! Beim zweiten Mal häufte ich gleich noch mehr Kaviar auf meine blini . Wer wußte, wie lange diese Glückssträhne für mich anhalten sollte! Darja und Warwara standen neben mir und machten sich gegenseitig im Schutz ihrer großen Fächer auf einzelne Gäste aufmerksam.
»Sieh, dort drüben in der Ecke bei den Kissen, dort ist der Zarewitsch! Wie erwachsen er geworden ist in dem letzten Jahr! Ich habe ihn durch den Feldzug kaum gesehen!«
»Und dort ist die Zariza Praskowja, Iwans Witwe! Natürlich hat sie ihre Töchter mit dabei, die sie unbedingt verheiraten will! Sie liegt dem Zaren nur noch damit in den Ohren – dabei weiß jeder, daß der vertrottelte Zar Iwan, Gott habe ihn selig, nicht der Vater der Mädchen ist!«
Warwara fügte hinzu: »Iwan aber hat es geglaubt, Narr, der er war! Schau, Zariza Praskowja hat sogar ihren gesamten Staat an verrückten und zerlumpten Frauen, die sie aufklaubt, mitgebracht! Man riecht sie bis hier! Pfui, das stinkende Gesindel! Wenn sie sich schon mit Lumpen und Tagedieben umgibt, kann sie sie nicht baden und salben? Das letzte Mal, als ich sie besucht habe, spielte ein halbblinder Harfner uns vor, der bis zum Himmel nach Schweiß und Knoblauch stank …«
Darja zog die Nase kraus und lachte: »Und, was weiter?«
»Nun, er begann unanständige Lieder zu spielen! Ich schwöre dir, sogar mir wurden die Ohren rot! Ein Mädchen mit irrem Blick hat dazu getanzt und sich ganz ausgezogen. Ganz! Ihre Brüste baumelten dabei wie die Eier eines Ochsen! Und ihr Busch zog sich bis über ihre Schenkel hin! Praskowja hat sich köstlich vergnügt!« Warwara lachte selber. Ich wandte den Kopf ab und sah mich um. Ich schätzte einen gelungenen Scherz, doch mit Warwara wollte ich mich nicht gemein machen. Auch Darja hörte ihr nun nicht mehr zu: Sie musterte wieder den jungen Mann, den sie als den Zarewitsch bezeichnet hatte. Er sah nicht im geringsten erwachsen aus! Der Prinz Alexej war ein Junge von wohl zwölf oder dreizehn Jahren und schien alle Ernsthaftigkeit, die der gesamten Gesellschaft abging, in sich zu vereinen. Er trug schlichte, dunkle Kleider nach russischem Schnitt, und seine Haare fielen lang und ungepudert wie bei einem Popen auf seine Schultern. Er betrachtete das heitere Geschehen um sich herum mit der Unsicherheit seines Alters, die er hinter einer Maske der Ausdruckslosigkeit zu verbergen suchte. Seine Haut war so fahl, als sehe er nie die Sonne. Die dunklen Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er erinnerte mich an einen meiner Brüder, und ich hätte ihn am liebsten in den Arm genommen.
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