Die Zauberlehrlinge
Eine Sekunde lang war Harry sicher, er werde ohne ein weiteres Wort abdrücken. Er fragte sich, ob sein Herz vor lauter Angst stehenbleiben würde, ehe die Kugel in sein Gehirn drang. Dann sagte Lazenby: »Kommen Sie, Harry. Worum geht es eigentlich?«
»Es geht um das Projekt Sibylle und Davids Versuch, Sie zu erpressen. Es geht um die Schritte, die Sie unternahmen, um zu verhindern, dass ihr Bericht ans Tageslicht kommt. Worum sonst sollte es gehen?«
»Das reicht nicht.«
»Mehr weiß ich nicht.«
»Das kann nicht alles sein.«
»Ist es aber.«
»Jetzt ist nicht der Moment, mich hinzuhalten. Sie bluffen mit schlechten Karten.«
»Ich bluffe nicht.«
»Leben Sie wohl, Harry.«
»Warten Sie. Um Himmels willen...«
»Ich werde die Wahrheit dann eben aus Slade herausquetschen, das ist Ihnen doch klar? Ich werde es so oder so herausfinden. Sie sterben für nichts.«
»Aber ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
»Das ist Ihre letzte Chance. Ihre allerletzte.«
Die Waffe schien sich in Harrys Schädel zu bohren, während Lazenby ihm in die Augen starrte. Seine letzte Chance war keine Chance. Er konnte nichts sagen oder tun. Instinktiv schloss er die Augen und atmete ein letztes Mal tief ein. Er hörte ein Klicken. Das war, nahm er an, das Vorspiel zum Vergessen. Dann...
»Okay. Sie haben gewonnen.«
Harry atmete aus und öffnete die Augen. Lazenby sah ihn forschend an, als hätten die Ereignisse ihn überrascht und verwirrt. Langsam nahm er die Waffe herunter und neigte den Kopf.
»Sie dachten, ich würde Sie umbringen, richtig?«
» Ja. «
»Wollte ich auch. Aber Sie machen mir Sorgen. Ich dachte, Sie würden mir alles erzählen, was ich wissen will.«
»Aber ich weiß doch nicht mehr!«
»Das macht mir ja Sorgen. Die Möglichkeit, dass Sie ehrlich sind, dass Sie vielleicht selbst nur für jemand anderen den Dummkopf abgeben.«
»Das muss so sein!«
»Slade?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich auch nicht. Aber ich schätze, wir sollten es herausfinden. Zeit, dass wir dem Zauberer einen Besuch abstatten.«
»Wir?«
»Ganz recht, Harry. Sie und ich, und zwar jetzt sofort. Ich habe ein Auto draußen, brauche einen Fahrer, und Sie haben sich gerade freiwillig dafür gemeldet.« Er nahm einen Autoschlüssel aus der Tasche und warf ihn Harry zu, der ihn mit knapper Not auffing. »Gehen wir.«
56. Kapitel
Harry war das Fahren nicht mehr gewöhnt. Aber auch die einbrechende Nacht in den Londoner Straßen und ein Beifahrer, der eine geladene Waffe an Harrys Taille presste, hätten ausgereicht, um seine Fahrkünste zu beeinträchtigen. Der einzige magere günstige Umstand war, dass sie Richtung Zentrum fuhren, während alle anderen in entgegengesetzter Richtung unterwegs zu sein schienen. Lazenby sagte ihm, er solle nach Mayfair fahren. Halb blind wegen der beschlagenen Windschutzscheibe fuhr er dahin, bis Lazenby sich seiner erbarmte und das Gebläse einschaltete.
»Muss ich Ihnen wirklich Slades Adresse sagen?« fragte Lazenby, als sie durch die Bayswater Road fuhren. »Vielleicht kennen Sie sie ja. Vielleicht besuchen Sie ihn häufig!«
»Ich habe Slade bloß einmal getroffen, in einem Restaurant in Soho. Ich habe keine Ahnung, wo er wohnt.«
»Das sagen Sie.«
»Sie können mir glauben!«
»Okay, also Waverley Mews, in der Nähe des Berkeley Square. Fahren Sie die Park Lane hinunter, und biegen Sie beim Dorchester links ab. Ich denke, das kennen Sie.«
»Ja, das kenne ich.« Harrys Gedanken wanderten zurück zu seinem Treffen mit Hope Brancaster im Dorchester vor weniger als drei Monaten, das ihm schon Jahre zurückzuliegen schien. Zurückschauen war ein bitteres Geschäft, aber vorausschauen war vielleicht noch schlimmer. »Kann ich ihnen eine Frage stellen?«
»Fragen können Sie.«
»Wenn Sie wirklich unschuldig sind...«
»An diesem Verbrechen bin ich so unschuldig wie ein neugeborenes Baby.«
»Also gut. Was hatten Sie mit David und Torben vor? Wollten Sie ihnen genug bezahlen, um HYDRA zu gründen' Wollten Sie zulassen, dass die beiden Sie erpressten?«
»Absolut nicht. Mich erpressen zu lassen, ist nicht mein Stil. Mord übrigens auch nicht. Zuviel Durcheinander. Ich bevorzuge Umwege.«
»Was soll das heißen?«
»Das bedeutet, dass ich schon jemanden hatte, um das zu tun, wozu Venning und Hammelgaard sich erboten - aber billiger. Es bedeutet, dass ich bereits früher für den Fall vorgesorgt hatte, mit dem sie mir drohten. Gerard Mermillod war seit April mein Spion in ihrem
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