Die Zauberlehrlinge
»Kennen wir uns?«
»Das ist Harry«, sagte Tina. »Ein bisschen skeptisch, glaube ich.«
»Mein Name ist Barnett«, sagte Harry, lächelte trotzig und streckte eine Hand aus, die Slade ignorierte. »Nie von Ihnen gehört.«
»Sie überraschen mich. Ich meine, bei all den zusätzlichen Dimensionen der Wahrnehmung, die Ihnen zur Verfügung stehen, müsste doch klar sein, wer ich bin. Können Sie nicht eine davon zu Hilfe nehmen, um es herauszufinden?« Harry hatte nicht vorgehabt, sich den Mann zum Feind zu machen, doch in seiner Verzweiflung, dessen Aufmerksamkeit zu fesseln, hatte er anscheinend genau das getan. »Ersparen Sie mir die Mühe.« »In Ordnung. Ich bin David Vennings Vater.« »Das glaube ich nicht.«
»Es stimmt aber. Warum sonst hätte seine Mutter mir von Ihrer Dinnerverabredung mit ihm im letzten Monat erzählen sollen?«
»Ich weiß es nicht. Und ich will es auch nicht unbedingt wissen.«
»Aber ich will es wissen. Ich will wissen, in welcher Verfassung er an dem Abend war. Was ihm durch den Kopf ging.«
»Ich bin hergekommen, um mich zu entspannen. Nicht, um mich verhören zu lassen.«
»Ich verstehe.« Harry versuchte es mit einem weiteren Grinsen, aber das schien nicht ansteckend zu sein. »Vielleicht könnten wir uns morgen treffen.«
»Ich habe eine bessere Idee. Rufen Sie am Montag meinen Agenten an.«
»Das hat nichts mit Ihrem Agenten zu tun.«
»Wirklich nicht? Ich weiß zufällig, dass Davids Vater vor fast zehn Jahren gestorben ist. Was Sie zum Betrüger stempelt. Vermutlich sind Sie Journalist. Sie wollten sich mit dieser Scharade ein Exklusivinterview verschaffen, nicht? Für die Art von Zeitung, die jemanden wie Sie beschäftigt, wäre das wahrscheinlich ein echter Knüller. Nur dass es dazu nicht kommen wird.«
»Ich kann Ihnen versichern...«
»Geben Sie sich keine Mühe.«
»Ich möchte nur wissen, worüber Sie und David beim Dinner gesprochen haben. Das ist wohl kaum ein Staatsgeheimnis.«
»Nein. Aber es war ein Gespräch unter vier Augen, und das wird es auch bleiben.«
»Mein Sohn liegt im Koma, Mr. Slade. Seit dem Abend, an dem er mit Ihnen gegessen hat. Er hat eine Überdosis Insulin genommen, und keiner scheint zu wissen, warum. Sicher sehen Sie ein...«
»Was ich sehe, ist, dass ein ungeladener Gast eine private Party stört. Wenn Sie wirklich Davids Vater wären, wüssten Sie, dass ich seiner Mutter alles berichtet habe, was zu berichten war. Sie hätten nicht herzukommen brauchen, um mich zu belästigen. Ihre Story ist nur ein Vorwand, der nicht funktionieren wird.«
»Sieht aus, als wären Sie durchschaut, Harry«, sagte Tina.
»Sie können aus eigenem Willen gehen, ich kann aber auch ein paar Freunde bitten, Sie rauszuwerfen. Meine Freunde halten sich ziemlich fit.« Slade tätschelte Harrys Bauch. »Aber ein bisschen zusätzliches Gewichtstraining schadet nie.«
Harry zog eine Grimasse. »Ich gehe freiwillig.«
»Das dachte ich mir.«
»Aber David wird das nicht tun. Falls es das ist, was Sie erhoffen.« Es war eine leere Drohung, die mehr auf Wut als auf Argwohn beruhte. Doch indem er sie aussprach, verschaffte sich Harry zumindest in seinen Augen einen strategischen Abgang, der nicht so sehr nach Rückzug aussah. »Dafür werde ich sorgen.«
10. Kapitel
Ein milder, grauer Sonntagnachmittag mit wenig Verkehr und nur vereinzelten Kunden hatte Harry Gelegenheit gegeben, noch einmal alles zu überdenken, was er bisher erreicht hatte und für seinen Sohn noch versuchen konnte. Je mehr er darüber nachdachte, desto müßiger schienen seine Bemühungen zu sein. Außerdem gingen sie vermutlich in die falsche Richtung. Hope Brancaster hatte wahrscheinlich recht gehabt. David, deprimiert über eine Reihe von Karriererückschlägen, hatte sich freiwillig eine Überdosis Insulin gespritzt und lag nun in irreversiblem Koma. Es hatte kein falsches Spiel gegeben, und eine Wunderheilung würde es auch nicht geben. So einfach war das.
Es fiel Harry nicht einmal schwer, sein eigenes Widerstreben zu durchschauen, diese Schlussfolgerung zu akzeptieren. Ein Sohn konnte einem ansonsten inhaltslosen Leben einen gewissen Sinn geben. Einen solchen Sinn zu entdecken, nur um ihn dann gleich wieder zu verlieren, war unerträglich. Daher die Suche nach Geheimnissen, nach unlauteren Motiven und unausgeglichenen Konten. Bisher hatte er nichts als das übliche Durcheinander menschlicher Schwächen entdeckt, nichts, das schimpflicher gewesen wäre als seine eigene Rolle in
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