Die Zauberlehrlinge

und riss dabei den Umschlag auf. Er enthielt einen dreifach gefalteten Zeitungsausschnitt, aber weder eine Nachricht noch einen Brief, womit sich der Absender zu erkennen gegeben hätte. Harry zog seine Wohnungstür hinter sich zu, lehnte sich dagegen und faltete den Zeitungsausschnitt auseinander. Er stammte aus der Sunday Times von vor drei Wochen und war die obere Hälfte einer Innenseite mit der über vier Spalten gedruckten Überschrift: Auf Vorhersagen spezialisierte Wissenschaftler begegnen unvorhergesehenen Zwischenfällen. Begierig las Harry den darunter stehenden Artikel.
    Mit dem letzten Dienstag verstorbenen Dr. Marvin Kersey, einem kanadischen Biochemiker, erhöht sich die Anzahl der ehemaligen Mitarbeiter von Globescope Inc., einer auf Vorhersagen spezialisierten Firma mit Sitz in Washington, die in den letzten Wochen von tödlichen oder beinahe tödlichen Unfällen betroffen wurden, auf drei. Der Präsident von Globescope, Byron Lazenby, hat Vermutungen über einen Zusammenhang zwischen dieser Häufung von Unfällen und der Arbeit der Opfer für seine Organisation als »erfundenen Unsinn« abgetan. Bislang spreche nicht mehr als der Zufall für eine Verbindung.
    Dieser Zufall ist allerdings faszinierend. Am 13. September wurde Dr. David Venning, ein englischer Mathematiker, in seinem Zimmer im Skyway Hotel am Flughafen Heathrow in diabetischem Koma aufgefunden. Anscheinend hatte er sich eine Überdosis Insulin injiziert. Neun Tage später stürzte Gerard Mermillod, ein französischer Soziologe, in Paris auf dem Bahnhof Pigalle vor die Metro und fand den Tod. Zeugen beschrieben die Art seines Sturzes als »bizarr«. Letzten Dienstag wurde Dr. Marvin Kersey tot in seinem Apartment in Montreal aufgefunden. Die Polizei glaubt, dass er durch Kohlenmonoxyd vergiftet wurde, das aus einer defekten Heizanlage austrat. Alle drei Männer waren bis April dieses Jahres Mitglieder des wissenschaftlichen Spezialistenteams von Globescope. Mr. Lazenby bezeichnete ihren gleichzeitigen Weggang als »normale Fluktuation«. Dr. Kersey war danach als Dozent an die McGill University in Montreal zurückgekehrt, wo er vor seinem Übertritt zu Globescope tätig gewesen war. Mr. Mermillod hatte eine Stellung beim Institut des Hautes Etudes Scientifiques in Paris angenommen. Dr. Venning hatte zur Zeit des letztgenannten Vorfalls keinen akademischen Posten inne.
    Die Mitarbeiter von Globescope sind angewiesen worden, nichts über ihre früheren Kollegen zu sagen. Ein Angestellter, der bereit war, sich inoffiziell zu äußern, sagte, alle hofften, es möge sich bei diesen Ereignissen wirklich um Zufälle handeln. Der Gedanke, es könne anders sein, »macht einen zittrig«, wie er einräumte. Bisher sind keine plausiblen Motive für Selbstmord aufgetaucht, und weder die Polizei in Paris noch die in Montreal scheint die Todesumstände als verdächtig anzusehen. Dr. Venning liegt weiterhin im National Neurological Hospital in London im Koma. Sein Zustand wird als ernst, aber stabil beschrieben. Bei Globescope sieht die Aufgabe, die Zukunft vorherzusagen, inzwischen sehr viel einfacher aus als die Interpretation der Gegenwart.
    Weniger als eine Stunde später lief Harry durch den Gang, der zu Zimmer E318 im National Neurological Hospital führte. Der Besuch schien nicht viel Sinn zu haben, doch seine Gedanken waren nun so rastlos, dass ihm körperliche Aktivität, sinnvoll oder nicht, unentbehrlich erschien. Der anonyme Anruf und der Brief, Davids Koma und der Tod zweier anderer Männer, mindestens fünf Wissenschaftler, die im letzten Frühjahr von Globescope entlassen worden waren, zwei davon tot, einer so gut wie tot: All das war mit Sicherheit Teil eines Musters. Das musste auch Iris erkannt haben. Aber sie hatte sich entschieden, es vor ihm zu verheimlichen. Sie hatte so getan, als gebe es kein Muster, als sei Davids Erkrankung einfach nur ein tragisches Missgeschick. Was hatte sie gesagt? »Ich werde nicht zulassen, dass du dich in sein Leben drängst.« Zu dem Zeitpunkt war ihm das einleuchtend erschienen, aber jetzt... Alle waren so eifrig darauf bedacht, David sterben zu lassen, wollten nicht wissen, was mit ihm passiert war. Diese Einmütigkeit brachte Harrys Blut in Wallung. Wo waren sie, wenn David sie brauchte? Wenn Harry selbst gewusst hätte, dass er einen Sohn hatte, dann hätte er... Ruckartig blieb er stehen und entging gerade noch dem Zusammenstoß mit einem Mann, der aus Davids Zimmer kam. Er hatte ungefähr Harrys