Die Zauberlehrlinge
Größe und Gewicht, allerdings mit mehr Muskeln und weniger Fett, ein hübsches, wenn auch leicht ramponiertes Gesicht, große blaue Augen und blondes, stacheliges Haar. Ohne den dunklen Anzug und die rote Seidenkrawatte hätte man ihn für den Rausschmeißer eines Nachtclubs halten können. Er zog eine Augenbraue hoch, musterte Harry flüchtig, drängte sich dann an ihm vorbei und ging-
Harry trat in das Zimmer und schaute zu David hinüber.
Sein leeres, friedliches Gesicht war unverändert, zeigte keine noch so geringe Spur von Bewusstsein. Er konnte nicht hören, nicht sehen, nicht reagieren. Für die Welt blieb er tot. Aber vielleicht, tief im Inneren, war er für seinen eigenen Vater nicht ganz tot. Harry setzte sich an das Bett, streckte den Arm aus und legte die Hand auf Davids Hand, die auf der Bettdecke lag. »Ich werd's versuchen, Sohn«, murmelte er. »Ich werd's wirklich versuchen. Morgen sehe ich deine Mutter. Und deinen Arzt, wenn das möglich ist.«
Davids Arzt - natürlich! Der Mann, in den er beinahe hineingerannt wäre, hatte die autoritäre Ausstrahlung eines zugezogenen Spezialisten. Und Harry hatte sich diese Gelegenheit entgehen lassen. Er fluchte lautlos, sprang auf und eilte auf den Gang. Der Mann war nirgends mehr zu sehen. Aber weiter unten auf dem Gang machte sich eine Krankenschwester zu schaffen, die vorher nicht dagewesen war. Harry winkte und eilte ihr entgegen, um mit ihr zu sprechen. Das Personal kannte ihn inzwischen, und sie begrüßte ihn mit einem Lächeln.
»Hallo, Mr. Barnett. Sie sind ja noch spät hier.«
»Ich bin nicht der einzige. War das Davids Facharzt, den ich eben aus seinem Zimmer kommen sah?«
»Nein. Mr. Baxendale kommt erst morgen wieder. Das war nur ein anderer Besucher. David hatte heute viel Besuch.«
»Wer war er?«
»Er hat seinen Namen nicht genannt. Ein Kollege, hat er gesagt, glaube ich.«
»Ein Kollege von David?«
» Ja «
»Von Globescope?«
»Globescope? Was ist das?«
Dass die Schwester es nicht wusste, spielte keine Rolle. Wenn der Mann ein Kollege von David war, dann musste er von Globescope sein. Und in diesem Fall... Ein flotter Trab bis zum Haupteingang bescherte Harry nichts weiter als völlige Atemlosigkeit und die traurige Auskunft des Portiers, er erinnere sich vage, dass ein Harrys gekeuchter Beschreibung entsprechender Mann vor ein paar Minuten das Krankenhaus verlassen habe. Draußen im Nieselregen des Londoner Abends war allerdings nichts mehr von ihm zu sehen.
Harry zündete sich eine Zigarette an, um seine Enttäuschung zu lindern, und stand rauchend im Schutz des Säulenvordachs, das auf den Queen Square hinausging. Schlimm genug, dass er die Chance verpasst hatte, mit einem Insider von Globescope zu sprechen. Was ihn aber noch mehr wurmte, war eine andere Möglichkeit. Konnte Davids unidentifizierter Kollege auch für den Brief und den Anruf verantwortlich sein? War er vielleicht der namenlose Bote, der mehr über Harrys Vergangenheit zu wissen schien als Harry selbst?
12. Kapitel
»Wollen doch mal sehen, was deine Mutter dazu zu sagen hat, was, David? Vielleicht liegt es ja gar nicht an ihr, weißt du. Könnte sein, dass Ken das eigentliche Problem ist. Das ist mir klar. Dir auch, denke ich. Setzt er sie unter Druck? Was meinst du ? Auf jeden Fall versucht er, mich unter Druck zu setzen. Aber mach dir keine Sorgen. Bei mir wird das nicht funktionieren.« Harry lächelte, als ihm seine Hartnäckigkeit bewusst wurde. Sie hatte ihn schließlich seit dem frühen Vormittag im Krankenhaus festgehalten, wo er auf den Besuch von Davids Mutter wartete. Er würde Harry die Chance geben, Iris einige der Fragen zu stellen, die ihm nicht aus dem Kopf gingen. Natürlich hätte er sie auch anrufen können, aber vielleicht hätte sie sich geweigert, mit ihm zu reden. Er hätte nach Chorleywood hinausfahren können, um sie zu sehen, aber sie hätte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen können. Ken hätte das bestimmt getan. Harry hoffte allerdings, dass Ken nach Manchester zurückgekehrt war, um wieder das Kommando über seine Firma zu übernehmen. Insofern war Davids Krankenzimmer der sicherste Boden für eine Konfrontation mit Iris.
Da Harry den größten Teil des Montags im Krankenhaus zugebracht hatte, war es ihm bereits gelungen, Davids Facharzt einige Informationen zu entlocken. Aber Dr. Baxendale, ein freundlicher, wenn auch vorsichtiger Mann, hatte nur seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. »Es gibt keine realistische
Weitere Kostenlose Bücher