Die Zauberlehrlinge
wollen. Der Zug kommt morgen um dreizehn Uhr in Chicago an. Nehmen Sie ein Taxi zum John Hancock Center. Fahren Sie mit dem Aufzug ins oberste Stockwerk, da oben gibt es ein Restaurant und eine Bar. Gegen Mittag müsste da allerhand los sein. Nehmen Sie einen Drink, setzen Sie sich hin, und bewundern Sie den Blick auf den Michigansee. Donna wird dort mit Ihnen Kontakt aufnehmen.«
»Wie wird sie mich identifizieren?«
»Sie wird mich morgen früh anrufen. Ich werde Sie ihr beschreiben. Aber ich bezweifle, dass das nötig ist.«
»Warum?«
»Weil Sie, wie ich schon sagte, nicht wie die meisten Leute sind.«
Er war nicht wie die meisten Leute. Wie gern wäre Harry es gewesen, als um diese mitternächtliche Stunde in einem ratternden Zug irgendwo zwischen Albany und Chicago seine Zuversicht schwand. Er kämpfte sich aus seinem Sitz und ging in den Raum vor den Abteilen, wo er sein letztes Päckchen Karelia Sertika aufriss und bei offenem Fenster und eisigem Windzug langsam eine Zigarette rauchte. Er nahm Davids Schnappschuss aus seiner Brieftasche und betrachtete im kränklichen gelben Licht das lächelnde Gesicht seines Sohnes. Alles, was er über dieses ferne, fremde Kind erfahren hatte, war in der wissenden Herzlichkeit dieses fotografierten Blicks enthalten. Ein nicht erzählter Witz, ein nicht geteiltes Geheimnis, ein ungelöstes Problem. Sie warteten auf Harry, irgendwo da draußen. Sie winkten ihm. Sie hatten in keinem vorgefertigten Plan Zeit oder Raum. Aber schon waren sie Fixpunkte in seiner Zukunft.
27. Kapitel
Am Ende schlief Harry doch ein, als gerade der Tag anbrach. Er wurde erst wieder richtig wach, als der Schaffner ankündigte, sie würden in Kürze in Chicago ankommen. Mit trockenem Mund, leerem Kopf und stoppeligem Kinn stolperte Harry aus dem Bahnhof, schaffte es, den Taxistand zu finden und sein Ziel zu nennen, und lehnte sich dann zurück, um den strahlend blauen Himmel, die vermummten Fußgänger, die vereisten Regenrinnen und das Sonnenlicht zu betrachten, das von den Wänden der Hochhäuser zurückblitzte.
Das John Hancock Center war ein schwarzer Stahlriese, an dessen ausladendem Fuß Harry abgesetzt wurde. Der Lift brachte ihn in das oberste Geschoß, wo Betrieb und Panorama dem entsprachen, was Hackensack versprochen hatte. Harry zog sich so weit wie möglich von der blendenden Aussicht an einen Tisch in der Nähe der Bar zurück, bestellte sich ein Bier und fing an, die Frauen ohne Begleitung möglichst beiläufig zu mustern, um vielleicht Donna Trangam zu erkennen. Die Kandidatinnen waren nicht zahlreich, aber eine Blondine in grauem Kostüm und pinkfarbener Bluse schaute mit scheinbar bedeutungsvoller Absicht zu ihm herüber, ehe sie eine Zigarette in den Mund steckte und mit ostentativem Misserfolg ein Feuerzeug betätigte.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte Harry, während er mit dem Glas in der Hand und ein paar Schritten, die er für lässig hielt, an ihren Tisch schlenderte. »Streichhölzer lassen einen nie im Stich.« Er nahm die Schachtel mit Hackensacks Nummer darauf aus der Tasche und schüttelte sie klappernd.
»Danke«, sagte sie und akzeptierte das Feuer. Sie war älter, als Harry zuerst angenommen hatte, erheblich älter als David, und ihre Züge hatten eine Härte, die vielleicht von Angst herrührte. Ihr modisches Kostüm und der auffallende Schmuck entsprachen ganz und gar nicht dem Stereotyp des Blaustrumpfs. Vielleicht, dachte er, trägt sie sie deswegen. »Gut zu wissen, dass es noch einen Mann in Chicago gibt, der sie sich nicht abgewöhnt hat.«
»Tatsächlich bin ich gerade erst angekommen.« »Ihr Akzent ist bestimmt nicht aus dem Mittelwesten.« »Haben Sie etwas dagegen, dass ich mich zu Ihnen setze?« »Ganz und gar nicht. Irgendwie fühle ich mich einsam.« Als Harry sich setzte, drehte sie sich leicht in seine Richtung, schlug die Beine übereinander und lächelte. »Woher kommen Sie?«
»Aus England. Ich bin Harry, Donna.« »Erfreut, Sie kennenzulernen, Harry.« »Haben Sie heute mit Woodrow gesprochen?« »Wie bitte?« »Woodrow.«
»Der einzige andere Mann, mit dem ich heute gesprochen habe, ist mein Schmock von einem Ehemann, demnächst Exehemann. Falls Sie ihn als Mann zählen. Ich bin nicht sicher, ob ich's tue.«
Im gleichen Augenblick, in dem Harry erkannte, dass er einen grässlichen Fehler gemacht hatte, fiel ihm eine Bewegung auf der anderen Seite des Raums an den Fenstern auf. Eine schlanke, dunkelhaarige Frau, die unauffällig in
Weitere Kostenlose Bücher