Die Zauberlehrlinge
Jeans, Turnschuhen und einem bunten Wollpullover gekleidet war, hob vorsichtig erkennend eine Hand. Sie lächelte nicht. Tatsächlich hatte sie einen etwas verwirrten Gesichtsausdruck, der eine gewisse Gereiztheit annahm, als Harry ihrem Blick begegnete.
»Freut mich zu hören, dass Sie nicht aus Chicago sind, Harry. Ich habe von den Männern dieser Stadt die Nase voll. Für meinen Geschmack zu glatt. Manchmal braucht ein Mädchen etwas Rauhes, an dem es sich den Rücken kratzen kann. Finden Sie nicht?«
Harry fiel der Unterkiefer herunter, als er die Ironie der Situation begriff. Sie war eine gutaussehende Frau, schick aufgemacht und begierig auf Gesellschaft. Seine Gesellschaft, erstaunlicherweise. Und sogar auf mehr als Gesellschaft, wenn er die Zeichen richtig deutete. Und die gekonnt sinnliche Art, wie sie an ihrer Zigarette zog, überzeugte ihn davon, dass er das tat. Es war die Erfüllung einer lebenslangen Phantasie. Vierzig Jahre hatte er darauf gewartet, dass ihn einmal eine glamouröse Nymphomanin mittleren Alters aufreißen würde, doch unglücklicherweise klopfte die Gelegenheit genau in dem Moment an die Tür, in dem er sich am wenigsten leisten konnte, sie zu ergreifen.
»Ich heiße übrigens Carmen wie die Oper. War die Lieblingsoper meiner Mutter. Sie sprach ihre leidenschaftliche Natur an.«
»Die Sie geerbt haben?«
»Ja, in der Tat.« Während sie das sagte, benutzte sie den karmesinrot lackierten Nagel ihres Zeigefingers, um sich hoch oben an ihrem Oberschenkel zu kratzen, wobei sie den Saum ihres Rocks hochzog. »In welcher Branche sind Sie tätig, Harry?«
»In gar keiner.« Er atmete tief und bedauernd ein. »Ich bin soeben aus einem Irrenhaus entlassen worden.«Sie lächelte nervös.
»Sie machen Witze.«
»Wenn's nur so wäre.«
»Das ist... äh... überraschend.«
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und zog ihren Rocksaum nach unten. »Wie lange... waren Sie da drin?«
»Sechsunddreißig Jahre.« Er sah, wie ihr Kinn herunterfiel. »Oh, da ist meine Tochter. Sie wartet darauf, mich nach Hause zu bringen. Sie werden mich entschuldigen müssen.«
»Aber sicher«, sagte Carmen und nickte benommen.
Harry nahm sein Bier und ging langsam zum Fenster hinüber. Als er Donna Trangams Tisch erreichte, stand sie auf, um sich vorzustellen. Sie war eine zart gebaute Frau von etwa dreißig Jahren mit braunschwarzem Pagenkopf und blassem, friedlichem Gesicht, in dem teakholzdunkle Augen hinter einer kleinen, goldgerahmten Brille glänzten. Vorwurfsvoll zog sie die Stirn kraus und murmelte: »Was zum Teufel haben Sie da gespielt?«
»Einer Gans gesagt, dass ich keine goldenen Eier mag. Kein sehr nettes Spiel, das kann ich Ihnen versichern.«
»Sie sollten doch vorsichtig sein!«
»Statt dessen musste ich artig sein. Meine Mutter hätte das gebilligt.«
»Verschwinden wir von hier.«
»Ist mir recht.«
»Ich treffe Sie am Aufzug.«
Harry kehrte auf einem Umweg zu seinem ursprünglichen Tisch zurück, um jeder Möglichkeit eines Augenkontakts mit Carmen auszuweichen. Er legte etwas Geld für sein Bier hin, nahm Mantel und Reisetasche und ging zum Lift. Donna wartete in kurzem rotem Mantel und schwarzer Mütze neben der Tür. Da eine ganze Gruppe, die gemeinsam zu Mittag gegessen hatte, mit ihnen aufbrach, konnten sie auf dem Weg nach unten nicht miteinander sprechen, obwohl sie aneinandergedrängt in einer Ecke der Kabine standen. Unter den gegebenen Umständen hielt Harry es für das beste, fest auf die Stockwerksanzeige zu blicken.
Schließlich erreichten sie das Erdgeschoß, wo Donna Harry durch einen Seitenausgang in den beißend kalten Wind führte.
»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte sie. »Auf jeden Fall nicht genug für solche Mätzchen.«
»Das war kein Mätzchen.«
»Ich habe heute Morgen mit Woodrow gesprochen. Er hat mir von Torben erzählt und auch von Ihrem Ausflug nach Poughkeepsie. Das war dumm.«
»Finden Sie?«
»Was ich finde, ist, dass ich niemals auf Torbens Nachricht hätte reagieren sollen, wenn Ihr bisheriges Verhalten irgendein Maßstab ist. Vermutlich wurde er Ihretwegen umgebracht.«
»Das denke ich nicht.«
»Denken Sie denn überhaupt? Das ist die Frage.«
»Hören Sie mir zu!« sagte Harry barsch und packte sie an der Schulter, während er wütend an alles dachte, was er bisher wegen dieser Frau und ihrer Freunde ertragen hatte. »Ich habe nicht darum gebeten, Ihre verdammte Brieftaube zu sein. Ich habe nicht darum gebeten, in diese Sache
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