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Die Zauberquelle

Titel: Die Zauberquelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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kein Zufall, daß hier nur Eichen wuchsen. Jahrhundertelange Auslese, schon vor Menschengedenken, hatte alles andere ausgemerzt. Über ihnen sangen Vögel in dem luftigen Blattzelt, und vor ihren Füßen breiteten Sonne und Schatten einen gefleckten Teppich aus. In der Ferne hörten sie Wasser rauschen, und sie näherten sich dem Weiher von der Rückseite des Eibentempels her und banden ihre Pferde dort an, während Gilbert mit den Augen die Gegend absuchte, ob sich auch niemand an der Quelle befand.
    »Nicht nötig«, sagte sein Vater. »Seitdem der Weiher da meinen Priester geschluckt hat, kommt kaum noch jemand her – außer bei Vollmond –, und den haben wir erst in eineinhalb Wochen.«
    »Margaret kommt auch nicht mehr, aber früher hat sie hier immer Wasser zum Bierbrauen geholt. Sie sagt, der Gedanke, daß sie einen Priester trinkt, stört sie.«
    »Narrenpossen der Frauen. Ganz gleich, woher man das Wasser holt, irgendwie trinkt ihn jeder, wenn es aus dem Bach kommt. Und wäscht mit ihm und watet in ihm.« Sie nahmen die Bündel herunter, die hinter dem Sattel gelegen hatten, und schlitzten die Umhüllung auf. »Die Leute sagen, er ist fort, verschluckt von der Unterwelt. Das hält sie davon ab, sich so etwas wie herumspukende Geister und starrende Augen zusammenzuphantasieren wie deine Frau, die nicht einmal Austern essen will.« In den unkrautbewachsenen Ruinen fand sich eine geeignete Stelle, und sie fingen an zu graben. »Aber ich könnte mir denken«, fuhr Sir Hubert fort, »daß in dem Loch da die verdammt dicksten Aale hausen, die ich meiner Lebtag gesehen habe. Die fressen alle und alles auf, was von der Quelle verschluckt wird. All die Hühner und den Käse und die anderen Opfergaben. Letztes Jahr habe ich einen großen für meinen Fischteich aus dem Loch geangelt, aber den haben die Ottern verputzt. Und seit diese Untiere gar Sir Roger aufgefressen haben, liegen sie mir zu schwer im Magen. Irgendwie wäre das doch, als würde ich ihn verspeisen, und das wäre unehrerbietig.« Der alte Mann schwieg und staunte über sich selbst, weil er seine innersten Gedanken jemandem gegenüber geäußert hatte. Gilbert schwieg auch und staunte über seinen Vater, der sich tatsächlich Gedanken machte, und obendrein vernünftige.
    Als sie die Schatulle in das ausgehobene Loch hinunterließen, meinte Gilbert vom Weiher her ein Knistern zu hören. Stumm legte er seinem Vater die Hand auf den Arm und deutete zum Weiher. Es raschelte und knackte, Zweige brachen, und dann hörte man ein Tier auf vier Pfoten gedämpft über den Teppich aus Eichenblättern laufen. Das Geräusch verklang.
    »Rotwild, das zur Tränke wollte«, sagte sein Vater. Interessant, daß sein Vater ausgezeichnet hören konnte, wenn er mit ihm allein war. Aber in Gesellschaft anderer Menschen schien er kein einziges Wort zu verstehen, schon gar nicht Worte, die ihm mißfielen.
    Sie vergruben die Schatulle, stampften die Erde fest und legten ein paar große Steine auf die Stelle. Sodann verließen sie den Wald auf dem Weg, den sie gekommen waren, und kehrten hochbefriedigt aus entgegengesetzter Richtung auf der Hauptstraße heim.

    Uff, sie haben sie fortgeschafft, dachte ich, und da sie jetzt vergraben ist, können wir heimkehren und in aller Ruhe abwarten. Das wird unser kürzester Besuch hier und hoffentlich auch der letzte. Wenigstens sind jetzt alle zufrieden. Sir Hubert behält die Rechte auf die Quelle und ich mein Haus, und alles kann wieder seinen gewohnten Gang gehen. Madame nahm Cecily mit, die ihr helfen sollte, das Altarsilber in der Kapelle von Brokesford zu polieren, Mutter Sarah verzog sich mit Peregrine und ihrer Spindel in den Obstgarten, wo der Junge im Fallobst für den Apfelwein nach Würmern bohren konnte, und ich holte mir Alison, damit sie mir beim Zusammensuchen der von den Kindern verstreuten Sachen half, denn wir wollten packen.
    »Mama, ich möchte Old Brownie reiten«, sagte Alison.
    »Das ist ungerecht, deine Schwester arbeitet, und du willst spielen.«
    »Ist es nicht, ich muß nämlich beim Reiten immer hinten sitzen, bloß weil sie älter ist. Ich will aber vorn reiten, da ist es nicht so rutschig.«
    »Ihr könnt euch doch abwechseln.«
    »Sie sagt, zum Abwechseln gibt es keinen Grund. Sie ist älter und bestimmt, wann abgewechselt wird, und so komme ich nie nach vorn. Mama, warum hast du mich als zweite geboren? Ich will erste sein. Wenn ich erste wäre, ich würde besser teilen als Cecily.«
    »Das war nicht ich,

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