Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
erkennt und es entsprechend zu würdigen weiß. Ich schwankte von einem Extrem zum anderen, bis mir klar wurde, dass das Ideal irgendwo in der Mitte liegt. Diesbezüglich gibt es auf der Erde eindeutig noch Nachholbedarf. Im Biologieunterricht Aufklärungsfilme zu zeigen ist zwar gut und recht, aber es genügt eben nicht, den jungen Leuten bloß beizubringen, was mit ihrem Körper in der Pubertät geschieht. Man muss ihnen auch erklären, dass er ein Geschenk ist und auch so behandelt werden sollte. Das soll kein Vorwurf sein, weder an unsere Biologielehrerin Mrs. Bickle noch an meine Eltern oder sonst irgendwelche Erwachsenen. Ich finde nur, dieser Aspekt wird viel zu oft vernachlässigt. Ich hatte mir fest vorgenommen, diese Erkenntnis an meine Tochter weiterzugeben, so ich denn eine gehabt hätte.
Und trotzdem: Ich hatte in diesem Lebensabschnitt unheimlich viel Spaß. Pen und ich und die anderen Mädels besorgten uns gefälschte Ausweise, um in die ganzen angesagten Clubs in Philadelphia zu kommen. Außerdem hatten wir ein paar ältere Bekannte, die uns unter ihre Fittiche nahmen. Seither bedeutete »Ausgehen« für uns nicht mehr Kampftrinken auf einer privaten Vorstadtparty, sondern Dinner und Champagner in piekfeinen Restaurants. Das erforderte natürlich eine entsprechende Garderobe. Ich begann, mich für Mode zu interessieren, was mein Dad anhand seiner umfangreichen Kreditkartenabrechnungen hinlänglich belegen konnte, wie er zu sagen pflegte. Meine Mutter hingegen war begeistert. »Ich kann gar nicht glauben, was für eine bildhübsche junge Dame du geworden bist«, bemerkte sie oft. »Grandmom wäre unheimlich stolz auf dich.«
Plötzlich waren selbst die Jungs in der Schule auf mich scharf. Nachdem Seth und Tom Rosso vernommen hatten, dass ich die neue Nightlife-Queen von Philadelphia war, verhielten sie sich mir gegenüber auffällig freundlich. Neuerdings baten Dana Stanbury, Kerry Collins und Olivia Wilson mich um Anmachtipps und nicht mehr umgekehrt. Dank meines ausschweifenden Lebens war ich binnen kürzester Zeit zum It-Girl avanciert.
Eines möchte ich allerdings betonen: Ich mag zuweilen über die Stränge geschlagen haben, aber von den Drogen habe ich tunlichst die Finger gelassen. Großes Indianerehrenwort. Ich habe in meinem Leben einen einzigen Joint geraucht, und der rief bei mir eine derartige Paranoia hervor, dass ich mich drei Stunden in einer Toilette des Black Banana Club einsperren und abwarten musste, bis die Wirkung nachgelassen hatte. Diese Erfahrung reichte aus, um mich für alle Ewigkeit abzuschrecken. Zugegeben, dafür konsumierte ich umso mehr Alkohol, insbesondere Wodka. Und dann war da wie gesagt noch die Sache mit den wechselnden Bettgenossen. Ich hatte also so einige Laster, denen ein minderjähriges Mädchen eigentlich nicht frönen sollte. Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, dann hätte es diesen fünften besten Tag in meinem Leben niemals gegeben. Aber ich wusste es eben nicht besser, und deshalb werde ich mit offenen Karten spielen und diesen Tag in meinen Aufsatz aufnehmen, obwohl ich inzwischen klüger bin.
Meine außerschulischen Aktivitäten wirkten sich unweigerlich auf meine Noten aus, die bis dahin eigentlich ganz akzeptabel gewesen waren. In der zwölften Klasse konnte ich von Glück sagen, dass ich überhaupt bestand. Am Abend vor dem Einstufungstest für die Universität zog ich mit meinen Freundinnen bis um fünf Uhr früh um die Häuser. Ich kam zu spät zum Test, im Pyjama und alles andere als nüchtern. Das Ergebnis fiel denkbar schlecht aus. Meine Mitschüler erhielten ihre Resultate, ich erhielt eine Vorladung ins Büro der Beratungslehrerin, wo schon meine Eltern auf mich warteten. Da wusste ich, dass die Kacke am Dampfen war, denn wie bereits erwähnt blieb mein Vater nur in äußersten Notfällen der Arbeit fern.
»Alexandra«, wisperte Mrs. Andersen mit gewohnt dünner Stimme, »ich habe dich rufen lassen, weil wir wegen deiner Testergebnisse ein wenig besorgt sind.«
»Ein wenig?«, donnerte Dad.
»Wie viele Punkte habe ich erreicht? Neunhundert? Tausend?«, fragte ich völlig arg- und ahnungslos.
»Von wegen! Ganze vierhundertvierzig!«, brüllte mein Vater. »Und zweihundert bekommt man allein für die korrekte Schreibung seines Namens! Ich will stark hoffen, dass du wenigstens das hingekriegt hast.«
»Bill, bitte!«, beruhigte ihn Mom, weil Mrs. Andersen angedeutet hatte, mein plötzlicher Leistungsabfall könnte auf eine
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