Die zehn besten Tage meines Lebens: Roman (German Edition)
versichert hatte, dass sie mich nur zu gut verstand, wusste ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es ging nicht darum, ob ich Charles liebte. Es ging nicht darum, dass meine Mutter für den Mann, den sie liebte, ihre Träume aufgegeben hatte, was auch immer das für Träume gewesen sein mochten. Es ging nur um eines: darum, dass ich mein Leben nach meinen eigenen Vorstellungen gestalten konnte. Und die Unterstützung meiner Mutter verlieh mir dafür den nötigen Mut.
»Beweis deinem Vater, dass er dir Unrecht tut. Zeig ihm, dass du deine eigenen Entscheidungen treffen kannst. Ich bin sicher, dass du das schaffst. Wenn du die Kraft hattest, deine Verlobung nach all der Zeit zu lösen, dann gibt es bestimmt noch mehr, was du im Leben erreichen willst. Du wirst dir deinen Platz in der Welt erkämpfen, und zwar ganz ohne fremde Hilfe. Ab jetzt mache ich mir deinetwegen keine Sorgen mehr.«
Das war das erste Mal, dass jemand stolz auf mich war, noch dazu jemand, den ich liebte. Deshalb ist dieser Tag einer der besten meines Lebens. Mein Vater war im Moment zwar alles andere als stolz auf mich und glaubte, ich sei ein orientierungsloser Nichtsnutz, doch ich war überzeugt, dass ich ihm das Gegenteil beweisen konnte.
Drei Tage später hatte sich in Philadelphia herumgesprochen, dass die Hochzeit geplatzt war. Die Boulevardpresse lechzte nach Erklärungen. Hier hieß es, ich hätte Charles betrogen, dort, man hätte mich beim Drogenkauf in Chinatown gesehen. Ich kehrte nie wieder in das Haus zurück, in dem ich mit Charles gewohnt hatte. Mom und ich zogen einfach los und kauften neue Kleider und Kosmetikartikel für mich.
Doch schon bald kristallisierte sich heraus, dass ich nicht in Philadelphia bleiben konnte. Als ich meinen Kollegen in der Poststelle einen Besuch abstattete, erfuhr ich von Tim, dass ich in der Firma inzwischen nicht mehr als »liebenswürdig verrückt« galt, sondern als Fall für die Klapsmühle.
Eine Zeit lang spielte ich mit dem Gedanken, nach New York zu ziehen. Allerdings schien mir das nicht weit genug weg von Philadelphia, zumal dort laut Penelope bereits das Gerücht kursierte, ich säße im Gefängnis.
Zwei Wochen hing ich bei meinen Eltern vor der Glotze herum und versuchte, einen Entschluss zu fassen. Meinem Vater ging ich möglichst aus dem Weg, dafür führte ich lange Gespräche mit meiner Mutter und sah mir mehr als einmal unsere alten Filme an, auf denen das Leben noch fröhlich und unkompliziert war.
Ich erinnere mich noch genau, wie mir eines Abends dann die Erleuchtung kam. Ich guckte Früchte des Zorns mit Henry Fonda, und ganz am Schluss des Films sagte Ma Joad:
»Die Reichen, die kommen und gehen. Sie sterben, ihre Kinder taugen nichts und Schluss und aus. Aber wir sind nicht totzukriegen. Wir sind die Menschen, die leben. Sie können uns nicht wegfegen, nicht auslöschen. Uns wird es immer geben, Pah, denn wir sind das Volk.«
Da wurde mir etwas klar, das ich tief im Innern schon die ganze Zeit gewusst hatte; ich hatte bislang nur noch nicht die nötige Kraft gehabt, es in die Tat umzusetzen: Wenn ich etwas aus mir machen wollte, dann durfte ich mich nicht länger von meinen Eltern durchfüttern lassen.
Ich rief auf der Stelle Dana Stanbury an, die damals in Los Angeles lebte, und sie meinte, ich könnte für den Anfang bei ihr wohnen.
Am nächsten Morgen informierte ich meine Eltern, dass ich nach Kalifornien zu ziehen gedachte.
»Von mir bekommst du keinen Cent«, sagte mein Dad.
»Gut«, erwiderte ich. »Ich will auch kein Geld von dir.«
(Was mich nicht davon abhielt, das Geld anzunehmen, das mir Mom vor der Abreise als Startkapital zusteckte. Aber danach war ich finanziell tatsächlich auf mich gestellt.)
Als Charles ein paar Jahre später geschäftlich in Los Angeles zu tun hatte, rief er mich an, und wir trafen uns zum Lunch. Er hatte sich in der Zwischenzeit verliebt, geheiratet und war auf dem besten Weg, Vater zu werden.
»Ich muss mich bei dir bedanken«, stellte er fest. »Ich konnte damals nicht nachvollziehen, warum du dich von mir getrennt hast, aber jetzt verstehe ich es.«
Wie gesagt, er war ein feiner Kerl. Er war nur nicht der Richtige für mich. Tja, die Liebe macht eben alles ungleich komplizierter. Sie bringt uns sogar dazu, jemandem unsere Träume zu opfern. Wenn man sich, wie meine Mom, richtig entschieden hat, dann weiß man, es hat sich gelohnt, selbst wenn einmal die Zweifel ihre hässlichen Häupter heben. Ohne Liebe
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