Die zehn Fragen: Roman
wollen wir es uns noch einmal anhören? Wir kennen es doch und wissen, was er sagt. Und was hat es uns eingebracht? Diese fruchtlose Jagd in Spanien."
„Wir könnten etwas überhört haben", meinte David. Der Butler kam zurück. Sie sahen zu, wie er das Videoband einlegte. „Also gut", sagte David dann. „Passen wir genau auf." Samuel Stone erschien auf dem Bildschirm.
„Hat ihn jemand von euch gesehen, Yor ... Ist das nicht ein hübscher Name? Versucht doch mal, ihn zu singen. Aber ihr müßt ihn im richtigen Schlüssel singen. .. scharfe Rasur... Friseurladenquartett..."
Dann war das Band wieder zu Ende, und der Bildschirm wurde dunkel.
„So, und wozu war das nun gut?" raunzte die Witwe. „Wir sind genauso klug wie zuvor."
„Nein, eben nicht!" sagte David, der die ganze Zeit mit konzentriertem Gesicht dagesessen hatte. „Ich hab' s! Wir sind einer falschen Spur gefolgt!"
„Na, das wissen wir schon", sagte der Anwalt.
David erhob sich aufgeregt. „Er hat uns in die falsche Richtung gelenkt. Er wollte, daß wir denken sollen, aha, Oper, Barbier von Sevilla, und nach Spanien reisen. Aber der tatsächliche Hinweis ist dieser Ausdruck scharfe Rasur , versteht ihr? Wo bekommt man eine scharfe Rasur? Bei seinem Friseur, Barbier! Wir müssen Samuel Stones Friseur suchen!"
„Großartig!" rief der Rechtsanwalt und fragte die Witwe: „Wer war der Friseur Ihres Mannes?"
„Das weiß ich nicht", sagte die Witwe kopfschüttelnd. „Na, aber irgend jemand muß es doch wissen!" Sie riefen den Butler herein.
„Wissen Sie, wo sich Mr. Stone die Haare schneiden ließ?"
„Nein. Dorthin fuhr er immer allein. Und den Namen seines
Barbiers hat er niemals erwähnt."
Alle sahen sie sich frustriert an.
„Nun ja", meinte der Neffe, „darüber sollten wir uns vielleicht keine grauen Haare wachsen lassen. Das herauszufinden, dürfte wohl nicht allzuschwer sein. Ich will mal im Telefonbuch nachsehen."
„Da kommen wir mit", sagte die Witwe sogleich, weil sie natürlich nicht wollte, daß der Neffe irgendeinen Vorsprung gewann. Und so sahen sie alle zu, wie der Neffe das Telefonbuch an der Seite aufschlug, wo alle Friseurläden aufgeführt waren. Aber es waren volle drei Seiten, Hunderte von Namen.
„O Gott", sagte der Anwalt, „da finden wir den Richtigen nie."
„Wir teilen sie uns auf", schlug David vor, „in vier Teile. Und
jeder sucht seine Liste durch."
„Gute Idee!"
Und jeder ging in ein separates Zimmer, wo Telefone standen.
„Moment noch, David!" rief die Witwe. „Wir brauchen noch
eine Abmachung. Wer den Friseurladen findet, teilt den Schatz
mit allen anderen, ja? Einverstanden?"
„Absolut", sagte der Neffe.
„Selbstverständlich", sagte der Anwalt.
„Ist mir recht", erklärte David.
„Und mir auch", fügte die Witwe hinzu.
Aber außer David logen sie wieder einmal alle. Denn jeder wollte den Schatz in Wirklichkeit nur für sich allein.
Sie begannen zu telefonieren, jeder in einem eigenen Raum. „Acme Friseursalon."
„Entschuldigung, war Samuel Stone Kunde bei Ihnen?"
„Nein."
„Friseursalon Metropolitan."
„Verzeihung, aber hatten Sie vielleicht einen Kunden namens
Samuel Stone?"
„Bedaure, nein."
„Salon Diamond."
„War ein gewisser Samuel Stone Ihr Kunde?"
Und so zu, die ganzen Adressen durch. Sie fragten in
sämtlichen Friseursalons der Stadt nach. Aber ständig. war die
Antwort die gleiche: Nein!
Bis dann ...
Der Neffe war bei seinem dreißigsten Telefonat und schon
ganz mutlos.
„Friseursalon West Side."
„Sie hatten wohl auch nie einen Kunden namens Samuel Stone, wie?"
„Aber selbstverständlich doch! Der arme Mr. Stone! Wir kannten ihn alle gut."
Dem Neffen hüpfte vor Freude das Herz im Leibe. Er hatte ihn gefunden! „Vielen Dank auch!" sagte er.
Er notierte sich die Adresse und steckte den Zettel in die Tasche. Er hatte keinerlei Absicht, die gute Nachricht mit den anderen zu teilen. Statt dessen schlich er sich heimlich zur Hintertür hinaus und zu seinem Auto.
Die Witwe sah, während sie unablässig telefonierte, zufällig zum Fenster hinaus und erblickte den Neffen, wie er gerade in sein Auto stieg. Holla! dachte sie und wußte sofort, was das zu bedeuten hatte. Der Neffe hatte den richtigen Barbier gefunden!
Sie eilte hinaus zu ihrem eigenen Auto, um ihn zu verfolgen. Auch sie hatte keine Absicht, den Schatz mit den anderen zu teilen.
Auch der Anwalt sah, während er telefonierte, wie die Witwe zu ihrem Auto rannte, und wußte ebenfalls sofort, was da vor sich
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