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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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sie.
    Verunsichert trat sie einen Schritt zurück und sah ihn ungläubig an.
    „Du liebst mich“, wiederholte sie. „Ich habe immer gedacht, du hasst mich… oder verachtest mich. Aber das stimmt nicht!“
    Raphael stöhnte gequält auf. Ein leises Geräusch – und doch schien es beiden unendlich laut.
    „Ich weiß nicht, was es ist“, hauchte er unsicher. „Erst hielt ich dich für eine Gefahr, für unkontrollierbar und böse. Dann glaubte ich, du seist nur eine Gefahr für Eleanor, weil du mich…“
    Unglücklich brach er ab. Jetzt wagte er ihr kaum noch in die Augen zu sehen. Fast schämte er sich dafür vor ihr zu stehen und noch nie zuvor hatte er sich gegenüber einer anderen Person so schwach und hilflos gefühlt. Konnte es sein, dass Lilith sich deshalb so merkwürdig ihm gegenüber verhielt, weil sie sich in seiner Gegenwart ebenso fühlte? Er wollte nicht von Eleanor lassen, niemals. Aber Lilith Leid zufügen wollte er ebenso wenig. Und seine Zurückweisung war für sie ein Leid, dass sie zu vernichten drohte nach jener Nacht über den Dächern von Dragowicze. Jener Nacht, die Lilith ebenso wie Raphael ihre Einsamkeit vor Augen geführt hatte.
    Und in diesem Augenblick völliger Verzweiflung war es Lilith, die das Eis brach. Während er noch immer beschämt zu Boden sah und sich unter ihren Blicken wand, trat sie auf ihn zu und berührte ihn sanft am Arm. Es sollte nur eine kurze Geste des Verstehens und der Anteilnahme sein, doch sie bewirkte weit mehr, als Lilith beabsichtigt hatte. Ein heller Funke sprang durch ihre Berührung von ihr zu ihm hinüber. Fasziniert und vollkommen gelähmt sahen die zwei zu, wie sich der Funke in Raphaels Körper ausbreitete, ihn sanft zum Leuchten brachte und schließlich zurück in Liliths Körper floss. Und plötzlich begann die Luft um sie herum wieder zu flimmern, stärker und stärker, bis sie sich schließlich entzündete und die beiden erneut in Flammen standen. Noch immer hielt Lilith ihre Hand auf seinem Arm, doch dann zog Raphael sie an sich.
     
    …
     
    Elizabeth und Michael schlichen wie in einem Krieg von Haus zu Haus. Sie nutzten jede Deckung, jeden Torbogen, jedes ausgebrannte Autowrack am Straßenrand, um so unauffällig wie möglich voranzukommen. Welche Stadt dies auch immer sein mochte, sie war gefährlich durch die Akoloythoi, die in ihren Straßenschluchten umherstreiften. Manchmal sahen Elizabeth und Michael ganze Straßenzüge lang nicht ein einziges Lebewesen, dann wieder stießen sie auf ganze Gruppen von Akoloythoi, die sich auf Plätzen oder in Gebäuden versammelt hatten, von wo aus ihr Gekreisch und der Lärm ihrer Zerstörungswut über hunderte von Metern durch die Stadt hallte.
    Das flackernde rote Licht des Feuers war nun ihr ständiger Begleiter. Hatte an jenem Ort, an dem sie durch das Haus des Jonathan Towers in die Hölle hinabgestiegen waren, lediglich der Himmel in Flammen gestanden, so brannte hier buchstäblich alles. Häuser, Bäume, parkende Fahrzeuge, ja selbst der Straßenbelag. Es schien beinahe, als sei der einzige Zweck der allgegenwärtigen Flammen die Folter und Qual jeder Materie. Allein die Akoloythoi waren von diesem gigantischen Feuersturm nicht betroffen. Ebenso wie Michael und Elizabeth machte ihnen das Feuer nichts aus, ja sie nahmen es offenbar nicht einmal wirklich wahr. Es war ihr Element, der Stoff aus dem ihr Leben bestand, die Luft, die sie atmeten.
    Die beiden kamen nur langsam voran, denn unter keinen Umständen wollten sie den Dämonen in die Arme laufen. Auch wenn sie noch keinen richtigen Kontakt mit ihnen gehabt hatten, so reichte allein ihr Anblick, um sie auf respektvollem Abstand zu halten. Doch wie vorsichtig sie sich auch durch die Straßen voran arbeiteten, so bedrückend war die Situation für sie. Es reichte nicht aus, allein die Straße im Auge zu behalten. Unablässig blickten sie furchtsam auch die brennenden Häuserwände empor, stets in Angst, dass aus einer der schwarzen und ausgebrannten Fensterhöhlen ein Akoloythos blicken und sie sehen könnte.
    „Michael, was denkst du, warum in dieser riesigen Stadt keine toten Seelen sind?“, wisperte Elizabeth irgendwann.
    „Ich nehme an, diese widerlichen Dämonen haben sie von hier vertrieben“, antwortete er ebenso leise.
    „Aber wenn…“
    „Schhh!“, zischte Michael plötzlich und drängte Elizabeth unsanft in einen Hauseingang.
    Ein rhythmisch schleifendes Geräusch näherte sich ihnen, das Elizabeth bis eben nicht gehört

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