Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
hatte. Ohne den Blick von der Straße zu nehmen griff Michael hinter sich und tastete nach einem Türgriff. Schließlich fand er ihn und drückte nun sanft die Tür auf. Dann schob er Elizabeth und sich selbst in die Dunkelheit des Hauses und schloss leise die Tür wieder hinter sich. Sie drückten sich beide in einen finsteren Winkel hinter der Tür und lauschten angstvoll auf das Geräusch, welches auf der Straße immer näher kam. Plötzlich verstummte das Geräusch und eine Bewegung hinter dem schmutzigen Glas der Türscheibe verdunkelte den Eingangskorridor. Allein die Silhouette, die sich flirrend auf der gegenüberliegenden Wand abzeichnete zeigte allzu deutlich, dass es ein Akoloythos war, der durch die Scheibe starrte. Er musste irgendetwas wahrgenommen haben, denn sie hörten das witternde Schnüffeln und Atmen hinter der Tür, mit der er eine Fährte aufzunehmen versuchte. Die Sekunden dehnten sich zu Minuten, während Elizabeth und Michael aus Angst nicht zu atmen wagten und einander fest umschlungen hielten.
Und dann, ganz unerwartet, ließ der Akoloythos von der Tür ab und setzte sich wieder in Bewegung, die Straße entlang zu einem Ziel, das nur er kannte. Lautlos löste Michael sich von Elizabeth und schlich zur Tür. Eine Weile starrte er dem Akoloythos, der sich schlurfend und ein Bein nachziehend entfernte, durch die Scheibe hinterher.
„Mein Gott, der war riesig!“, hauchte er. „Das wär`s gewesen, wenn er uns entdeckt hätte.“
„Was machen wir jetzt?“, fragte Elizabeth noch immer völlig verschreckt. „Können wir wieder hinaus?“
Michael schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Dieser Dämon zog sein Bein hinter sich her, so als sei er verletzt. Und er geht in dieselbe Richtung, die wir auch gehen wollten. Wenn wir jetzt hinausgehen, wird er uns schnell entdecken.“
„Und jetzt?“
„Wir sollten warten. Am besten bleiben wir erst einmal hier. Immerhin scheint es in diesem Haus keine Akoloythoi zu geben.“
Wieder sahen sie beiden sich um. Sie standen in einem kleinen Eingangszimmer, an dessen Ende eine enge Treppe hinauf in die Dunkelheit führte. Offenbar waren sie durch einen Nebeneingang hereingekommen, denn für ein Wohnhaus war die Treppe zu klein, während der Raum selbst für ein Büro- oder gar ein Geschäftsgebäude ebenfalls nicht repräsentabel genug schien.
„Vielleicht können wir uns von einem der oberen Stockwerke einen besseren Überblick über diese Stadt verschaffen“, meinte Elizabeth.
Michael nickte anerkennend. „Eine gute Idee. Bisher sind wir ein bisschen planlos vorgegangen. Das sollten wir ändern.“
Elizabeth lächelte ihn verlegen an, dann setzten die beiden sich in Bewegung und gingen auf die Treppe zu. Es war ein kleines enges Treppenhaus, das aber bis ganz nach oben zum Dach führte, wie sie herausfanden. Sie ignorierten die Türen, die zur Rechten in das Innere des Gebäudes führten und stiegen bis zum Dachgeschoss hinauf. Dort fanden sie eine offene Tür, durch die sie bereits wieder das Flackern und Leuchten des allgegenwärtigen Feuers sehen konnten. Im Gebäude selbst hatte es bis hierhin keinerlei Feuer gegeben, stattdessen war hier alles in Dunkelheit und Leblosigkeit gefangen.
„Dieser Himmel macht mich krank!“, stieß Michael hervor, als sie auf das Dach traten. „Da ist mir die Finsternis im Haus beinahe lieber.“
Elizabeth nickte wortlos, dann traten die zwei an die Brüstung und blickten über die brennende Stadt.
„Ich kenne diesen Ort nicht, aber die Stadt ist riesig“, gab Elizabeth zu. „Hast du eine Ahnung, wo wir…“
Sie stutzte, als ihr Blick auf Michael fiel, der mit starrer Miene und offenem Mund über die Skyline der Stadt blickte. Wortlos nickte er. Dann hob er den Arm und zeigte auf ein Gebäude, welches nur wenige hundert Meter entfernt stand. Es war eine Kirche, die von einem gewaltigen Kuppelbau bekrönt wurde.
„St. Paul ‘s Cathedral!“, flüsterte er. “Wir sind in London!”
Ein Brüllen drang durch die Häuserschluchten zu ihnen hinüber, als eine gewaltige Feuerlohe wie aus dem Nichts nahe der Kathedrale gen Himmel schoss. Durch das Phänomen aufgeschreckt, stiegen hunderte geflügelter schwarzer Wesen von den Säulenumgängen und der Kuppel der Kirche auf und umkreisten sie nun zornig kreischend.
„Akoloythoi!“, wisperte Elizabeth.
„Wenn ich mir vorstelle, dass vielleicht in diesem Augenblick in der Welt der Lebenden ein Gottesdienst dort stattfindet“, hauchte Michael
Weitere Kostenlose Bücher