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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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die Lippen.
    An jenem Tag vor langer, langer Zeit war er allein auf die Jagd gegangen. Er pirschte sich gerade an ein Rentier heran, als ihn von hinten ein Bär angriff. Der Bär war groß und stark und hätte ihn fast getötet, hätte Kek nicht sein Messer aus weißem Feuerstein gehabt, das Tal für ihn angefertigt hatte. Er stieß es ins Auge des Bären, und das Tier rannte vor Schmerzen brüllend davon.
    Kek aber lag, von den Bissen des Tieres schwer verletzt, im Gras und konnte sich nicht mehr bewegen. Vergeblich rief er um Hilfe, und schließlich schlief er ein.
    Er erwachte im Lager der Schattenmenschen, die sich – wie er bald lernen sollte – selbst das Volk des Waldes nannten. In ihrer Sprache waren die Menschen des Wisentklans »die Großen«. Kek war sehr schwach, und er lag viele Wochen auf einem Lager, wo eine junge Frau ihn fütterte und heilenden Schlick auf seine Wunde schmierte.
    Rasch lernte er, die Sprache der Schattenmenschen zu verstehen, und so überhörte er, dass ihr Anführer und seine Leute überlegten, ob sie ihn töten sollten. Er hatte es nur der Tochter des Anführers zu verdanken, die ihn pflegte, dass ihm nichts geschah.
    Als Kek wieder zu Kräften kam, stellte ihn der Anführer vor die Wahl, sie zu verlassen oder bei ihnen zu bleiben und ihnen die Gebräuche der Großen beizubringen. Die Frau, die ihn gesundgepflegt hatte, war gedrungen und nicht so schön wie die Frauen vom Wisentklan, aber Kek hatte sie trotzdem liebgewonnen. Und er hatte es satt, in seinem Klan nur der zweite Sohn des Anführers zu sein.
    Also nahm er sie zu seiner Gefährtin und blieb.
    Die beiden bekamen keine Kinder. Sie war unfruchtbar, aber er blieb bei ihr und dem Volk des Waldes, auch wenn sie ziemlich seltsam waren. So glaubten sie nicht daran, dass ihre Ahnen im Himmel wohnten. Wenn sie starben, hörten sie einfach auf zu existieren. Sie ehrten auch den Wisent nicht. Für sie war er ebenso Nahrung wie alle anderen Tiere, nur sehr viel schwieriger zu töten. Sie hatten keine Gesänge und lachten auch nicht wie die Menschen vom Wisentklan. Und sie schnitzten auch keine kleinen Tiere aus Knochen, Horn oder Holz. Obwohl sie recht brauchbare Äxte herstellten, waren ihre Messer ziemlich dürftig.
    Kek und das Volk des Waldes tauschten ihr Wissen miteinander aus. Er brachte ihnen bei, wie man seine Speere schleuderte wie beim Wisentklan. Sie hingegen lehrten ihn, wie man ein Rentier einkreiste und zwang, in einen Abgrund zu springen. So tötete man es, ohne einen einzigen Speer zu werfen.
    Kek war glücklich bei ihnen, und sie wurden zu seinem Klan.
    Nun aber sah sein Anführer sich vor eine schwere Entscheidung gestellt. Bisher hatte er nur Töchter gezeugt, und jetzt wurde er alt und fürchtete, ohne einen Sohn zu sterben. Als ihm nun wider Erwarten doch noch ein Sohn geboren worden war, hatte das ganze Volk gejubelt, aber vor einer Woche war der Kleine sehr krank geworden. Kek hatte dem Anführer von Tal und seiner Gabe erzählt, die Menschen mit seiner Medizin zu heilen.
    Er hatte ihm auch von der heiligen Höhle erzählt. Daraufhin hatte sich der Anführer mit seinem Klan auf den Weg zum Gebiet der Großen gemacht und Kek zu Tal geschickt, damit dieser seinen Sohn heilte.
    Tal hörte zu, während er auf einem Stück getrocknetem Rentierfleisch herumkaute. Der Wisentklan hielt von jeher Abstand zu den Schattenmenschen. Und den Ahnen würde es sicherlich missfallen, wenn sie nun in Verbindung mit ihnen traten.
    Aber Kek, der Tal »Weiser Vater« nannte, bat inständig darum. Er beteuerte, es täte ihm leid, dass er weggegangen sei und mit den Anderen lebe, und er sagte, die Männer des Waldvolks würden ihre Waffen ablegen, bevor sie das Lager beträten. Alles würden sie tun, wenn er nur den kleinen Sohn ihres Anführers heilte.
     
    Die Neandertaler betraten das Lager langsam und argwöhnisch und flüsterten sich dabei in einer abgehackten, unbekannten Sprache etwas zu. Sie hatten wild dreinblickende Augen unter massiv vorspringenden Brauen und waren deutlich kleiner als die Menschen des Wisentklans. Ihre Arme waren muskulös und dick wie Keulen; ihr Haar war wild und zottig, und ihre struppigen Bärte hatten nie einen Schnitt mit einem scharfen Feuerstein erfahren. Die Frauen, die breitschultrig waren und schwere Brüste hatten, warfen interessierte Blicke auf die schlankeren und größeren Frauen des Wisentklans, von denen viele sich das Haar zu Zöpfen geflochten hatten.
    Tal, der seine Männer mit

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