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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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für den siegreichen Tala geknüpft wurden. Als einer der Männer mit einem scharfen Feuersteinmesser die winzigen Fingerglieder von der Hand abschnitt, fiel eines von ihnen unbemerkt auf den Boden der Höhle.
    Die toten Neandertaler wurden zum Höhleneingang getragen und über die Felswand nach unten geworfen, wo sie ein Fressen für die Löwen, Bären und Habichte wurden.
    Ihre eigenen Toten trug der Wisentklan behutsam hinunter ins Lager, wo er sie in der weichen Erde neben dem Fluss begrub, so, wie es seine Sitte war. Auch Keks Leichnam wurde nach unten gebracht. Dann erwartete der Klan Talas Entscheidung. Gehörte er zu ihnen oder zu den Anderen?
    »Kek war mein Onkel«, erklärte er, »und einer von uns. Jetzt, wo er tot ist, wird er als einer des Wisentklans behandelt.«
    Die Entscheidung des jungen Mannes wurde von den anderen akzeptiert, ebenso wie das, was er mit ihrem toten Anführer vorhatte. Tala wollte sich neben seinen Großvater in die Höhle setzen und von dessen Flugwasser trinken. Danach würde er schon wissen, was er tun musste.
    Der ganze Klan kletterte hinauf zu dem Felssims vor der Höhle und wartete, bis Tala kurz vor Sonnenuntergang wieder herauskam und ihnen sagte, dass er ihre Welt wieder in Ordnung gebracht habe.
    Er war mit den Wisenten gezogen und hatte gesehen, wie in weiter Ferne der Vogelmann zur Höhle geflogen und in ihr verschwunden war.
    Tala hatte seine Antwort.
    Tals Leichnam würde in der Pflanzenkammer bleiben, die Tal zu einer heiligen Stätte gemacht hatte. Neben ihm würden die Steinschüssel stehen, in der er sein Flugwasser zubereitet hatte, und der kleine Wisent aus Knochen, den seine Frau ihm geschnitzt hatte. Seine beste Klinge aus Feuerstein würde dort an der Höhlenwand lehnen, wo er sie zuletzt hingestellt hatte, und der Vogelmann sollte über ihn wachen. Niemand vom Klan würde die Höhle jemals wieder betreten.
    Während ihre anderen Ahnen in Ewigkeit um ihre Lagerfeuer im Himmel saßen, blieb der große Tal für immer in der von ihm bemalten Höhle.

DREISSIG
    Donnerstagnachmittag
    Bis zu seiner Verabredung mit Isaak blieben Luc noch ein paar Stunden Zeit. Er lag auf dem Hotelbett, den warmen Laptop auf dem Bauch, und war kurz davor einzunicken. Auf dem Bildschirm war das Posteingangsfenster seines E-Mail-Accounts zu sehen. Luc hätte den Laptop fast schon zugeklappt und beiseitegestellt, aber dann klickte er doch auf die Nachricht von Margot.
    Irgendwann musste er es ja sowieso machen, warum nicht jetzt? Irgendwann musste er sich den Bildern dieser letzten, glücklichen Augenblicke in Hugos Leben stellen, musste die bittersüßen Momente dieses letzten fröhlichen Abendessens mit seinem Freund noch einmal durchleben.
    Die Betreffzeile der Mail lautete nur: HUGOS FO-TOS. Luc holte tief Luft und klickte auf die Anhänge.
    Ein gutes Dutzend JPEG-Bilder wurde in rascher Folge auf seine Festplatte geladen. Als er sie eilig durchscrollte, sah er Aufnahmen von sich selbst, Sara und Odile, wie sie durch Domme schlenderten, am Tisch des Restaurants, auf einem von ihnen Hugo, der mit einem schrägen Grinsen den Arm um Odile geschlungen hatte, seine Hand gefährlich nahe an ihrer Brust. Als Nächstes kam das Gruppenbild, das der Kellner von ihnen aufgenommen hatte, als der Nachtisch auf dem Tisch gestanden hatte. Fast meinte Luc, ihr glückliches Lachen hören zu können.
    Ganz am Ende gab es zu Lucs Verwunderung noch ein Foto, das überhaupt nicht zu den anderen zu passen schien. Er klickte darauf, um es zu vergrößern, starrte es lange an und fragte sich, warum Hugo es aufgenommen hatte. Es zeigte ein Ölgemälde, das an einer gelben Wand hing, das Porträt eines jungen Mannes, der den Künstler argwöhnisch ansah. Der Mann hatte ein schmales, fast feminines Gesicht und langes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel. Er trug ein weißes Hemd mit weitgebauschten Ärmeln und einen schwarzen, geckenhaften Hut, über der Schulter hing ein teurer Mantel aus Leopardenfell.
    Was hatte dieses Gemälde, das vermutlich aus der Renaissance stammte, auf Hugos Handy zu suchen? Hatte jemand das Foto gemacht, als Hugo schon tot war? Aber wer nahm das Handy eines Toten, fuhr in ein Museum und schoss ein Bild?
    Moment mal! Luc zuckte zusammen wie vom Blitz getroffen. Unter den Metadaten des Fotos mussten das Datum und die genaue Uhrzeit der Aufnahme angegeben sein!
    Luc klickte auf die Datei und sah sich das Datum an. Hugos Todestag, 23.53 Uhr.
    Was hatte ihm der Gendarmerieleutnant

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