Die zehnte Kammer
am Unfallort gesagt?
»Er hat es nicht bis in den Ort geschafft. Wenn er Ihr Lager um dreiundzwanzig Uhr dreißig verlassen hat, dann kann sich der Unfall nicht später als um dreiundzwanzig Uhr vierzig ereignet haben. «
Luc saß nun am Rand des Bettes und fuhr sich immer wieder durch die Haare.
23.53 Uhr! Zu dieser Zeit hätte Hugo eigentlich schon tot sein müssen, und doch wurde mit seinem Handy ein Foto von einem Ölbild aufgenommen!
Auf einmal erinnerte er sich mit erschreckender Klarheit an etwas anderes, das sein Gehirn offenbar zur späteren Verwendung minutiös aufgezeichnet hatte.
Es waren ein paar Sätze aus der Rede, die Monsieur Tailifer, der Ratspräsident von Aquitanien, bei der Eröffnungsfeier zur Grabung in Ruac gehalten hatte:
Die Résistance hat den Zug in der Nähe von Ruac überfallen und ein Vermögen erbeutet, an die zweihundert Millionen Euro in heutiger Währung. In dem Zug waren auch berühmte Bilder, die für Hermann Göring persönlich bestimmt waren, darunter angeblich auch Raffaels »Porträt eines jungen Mannes« . Ein Teil der Beute erreichte de Gaulle in Algier und wurde bestimmt für die Sache verwendet, davon bin ich überzeugt, aber das meiste verschwand einfach, so wie das Bild von Raffael, das man bis heute noch nicht gefunden hat.
Luc war außer Atem, als hätte er einen Marathonlauf hinter sich.
Er öffnete den Webbrowser, klickte sich auf die Seite von Google und gab bei der Bildersuche die Worte »Porträt eines jungen Mannes« ein. Unter den Suchergebnissen befand sich auch eine Internetseite über den Kunstraub der Nazis, aus der hervorging, dass Raffaels berühmtes Kunstwerk nach wie vor verschollen war.
Luc ging mit Hingabe in Museen und war jedes Mal begeistert, wenn er eins entdeckte, in dem er bisher noch nicht gewesen war. Vor allem, wenn es so wie dieses in einem hübschen, alten Hotel auf dem Hochufer der Marne untergebracht war.
Wäre es ein normaler Tag in seinem Leben gewesen, hätte er sich in den etwas muffig riechenden Ausstellungsräumen und den weitläufigen Magazinen des Nationalen-Résistance-Museums in Champignysur-Marne sehr wohl gefühlt. Aber dies war kein normaler Tag in seinem Leben, und so nahm er seine Umgebung kaum wahr.
Er sagte dem Mann am Empfang, dass er eine Verabredung mit Monsieur Rouby habe, und wartete ungeduldig, bis der Chef zu ihnen nach unten kam.
Sie hatten vor weniger als einer Stunde miteinander telefoniert, nachdem Luc in panischer Eile Museen und Archive in ganz Frankreich angerufen hatte. Obwohl seine Anfrage ziemlich konkret gewesen war, hatte es lange gedauert, bis eine sympathische ältere Dame vom Résistance-Museum Henri Queuille ihm sagte, dass dreißig Kisten mit Archivmaterial, das möglicherweise etwas mit Lucs Frage zu tun hatte, zum Katalogisieren nach Champignysur-Marne geschickt worden waren.
Und glücklicherweise lag Champignysur-Marne nur zwölf Kilometer vom Zentrum von Paris entfernt.
Max Rouby war ein reizender Mann, der Luc zudem in vielerlei Hinsicht wie eine ältere Ausgabe von Hugo vorkam. Rouby war froh, einem wissenschaftlichen Kollegen einen Gefallen tun zu können, und sicherte ihm die volle Unterstützung seines kleinen Teams bereitwillig zu. Luc bekam einen Schreibtisch im Museumsbüro zugewiesen, und eine unscheinbare junge Frau namens Chantelle stellte nacheinander eine Reihe von Pappschachteln vor ihn hin, die sie mit einem Rollwagen aus dem Archiv geholt hatte.
»Was ich suche, sind Unterlagen über einen Überfall der Résistance auf einen deutschen Militärzug«, sagte Luc zu ihr. »Das war in der Nähe eines Ortes namens Ruac in der Dordogne, im Sommer 1944. In dem Zug waren eine Menge Bargeld und von den Nazis erbeutete Kunstwerke. Haben Sie vielleicht ein Verzeichnis, in dem der Inhalt dieser Schachteln aufgelistet ist?«
»Deshalb haben wir die Unterlagen ja bekommen«, sagte Chantelle, »damit wir so ein Verzeichnis erstellen, aber wir sind bis jetzt nicht dazu gekommen. Ich sehe die Papiere gerne zusammen mit Ihnen durch, das wird mir meine Arbeit später erleichtern.«
Gemeinsam wühlten sie sich durch Memoranden, Kriegstagebücher, Zeitungsausschnitte, persönliche Aufzeichnungen und viele Stapel halbverblichener Schwarzweißfotos. Nebenbei erzählte Chantelle, was sie über das Museum wusste, das ihnen die Unterlagen geschickt hatte.
Henri Queuille war ein wichtiger Politiker der Nachkriegszeit, der während der Besatzung in der Corrèze für die Résistance
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