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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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es noch lange so weitergehen können, denn schließlich war allgemein bekannt, dass Abélard kastriert war, weshalb sich niemand etwas dabei dachte, wenn er und Héloïse wieder engen Umgang miteinander pflegten.
    Dennoch konnte es nicht andauern. Am Ende war der Herr stärker als ihre Begierde. Ihre Schuld zerriss sie innerlich und drohte schließlich, ihnen den Verstand zu rauben. Héloïse sagte Abélard, wie schuldig sie sich fühlte, und er konnte ihr nur zustimmen. Immer wenn er mit ihr geschlafen hatte, ließ er sie allein und warnte sie vor seiner dunklen Seite, die ihn danach überkam und von der er nicht wollte, dass Héloïse sie miterlebte. Kurz bevor ihn sein Zorn überwältigte, rannte er hinaus in den Wald und wartete, während er mit Ästen wütend auf die Stämme der Bäume einprügelte und mit den Fäusten auf den Boden trommelte, bis die schwarze Wolke sich wieder verzogen hatte.
    Durch ihren Teufelskreis aus Sünde und Reue fühlten sie sich wie Ochsen, die in einer Getreidemühle ständig im Kreis herumgehen mussten und dadurch nirgendwohin kamen. Hatten sie denn nicht – so fragten sie sich, wenn sie erschöpft von der körperlichen Liebe nebeneinanderlagen – höhere Aufgaben zu erfüllen?
    So kam es, dass Abélard Héloïse trotz seines nicht nachlassenden Verlangens nach ihr schließlich zurück nach Argenteuil schickte. Héloïse stimmte ihrerseits diesem Entschluss bereitwillig zu.
    Sie fuhren fort, sich Briefe zu schreiben, Briefe, in denen sie ihre Seele auf Pergament gossen. Keiner dieser Briefe rührte Abélard mehr als der, den er den Rest seines Lebens jeden Tag aufs Neue las:
     
    »Du verlangst, dass ich vollkommen in meinen Pflichten aufgehe, um dadurch gänzlich Gott zu gehören, dem ich auf ewig geweiht bin. Wie kann ich das tun, wenn du mich mit Ängsten erschreckst, die mich Tag und Nacht nicht verlassen? Wenn ein Übel uns bedroht, das wir unmöglich abwehren können, warum gestatten wir uns dann auch noch die Angst davor, die sogar noch quälender ist als das Übel selbst? Was kann ich noch erhoffen, nachdem ich dich verloren habe? Was kann mich noch auf dieser Erde halten, wenn mir der Tod dereinst alles nimmt, was mir lieb und teuer ist in die sein Leben? Ich habe ohne Gram auf alle Verlockungen des Lebens verzichtet, nur meine Liebe zu dir habe ich mir bewahrt sowie das geheime Vergnügen, ständig an dich zu denken und mir sagen zu lassen, dass du noch am Leben bist. Jetzt aber lebst du nicht mehr für mich, und ich darf nicht einmal mehr die Hoffnung hegen, dass ich dich jemals wiedersehe. Das ist der größte Kummer für mich. Der Himmel befiehlt mir, auf meine fatale Leidenschaft für dich zu verzichten, aber, ach, mein Herz wird niemals zustimmen! Adieu.«
     
    Als Héloïse fort war, vergrub sich Abélard wieder in der Welt des Schreibens, der Lehre und des innigen Gebets. So zog er immer mehr Studenten an, und schließlich drängten sich die hervorragendsten Geister ihrer Zeit danach, bei ihm in Paraclete studieren zu können.
    Auch Bernhard, der immer mehr in der Rolle des Racheengels aufging, blieben Abélards neue Schriften nicht verborgen, und als er nach einigen Jahren ein neuerliches Traktat zur Heiligen Dreifaltigkeit verfasste, sorgte der mächtige Bernhard aus der Ferne dafür, dass Abélards Stellung in Paraclete unhaltbar wurde.
    Abélard befahl Héloïse ein letztes Mal zu sich und versicherte ihr, dass es wegen einer wichtigen Angelegenheit sei und nicht wegen seiner Leidenschaft. Das war allerdings nur die halbe Wahrheit, denn seine Leidenschaft war niemals abgekühlt.
    Er sagte ihr, dass man ihn zum Abt des Klosters von Saint-Gildas-de-Rhuys in der Bretagne gemacht und er die Stelle angenommen habe. Ja, die Bretagne sei weit entfernt, aber dort könne er noch einmal von vorn anfangen und außerdem sei sie weit fort vom Einfluss seiner Gegner. Er habe viel zu schreiben und immer noch viel zu lernen, und seine Energie und sein Ehrgeiz seien nie größer gewesen. Außerdem könne er dort ihr gemeinsames Kind, Astrolabe, besuchen, der seit seiner Geburt bei Héloïses Schwester in der Bretagne lebte.
    Das Wichtigste hatte er sich bis zum Schluss aufgehoben. Abélard legte Héloïse die Hände auf die Schultern und verlieh ihr den Titel der Äbtissin des Oratoriums von Paraclete. Nun gehörte das Kloster ihr, und er würde erst nach seinem Tod hierher zurückkehren.
    Héloïse weinte.
    Es waren Tränen der Trauer über ihre verlorene Liebe, für ihre

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