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Die Zeit: auf Gegenkurs

Die Zeit: auf Gegenkurs

Titel: Die Zeit: auf Gegenkurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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vorausging. Vor allem zu dieser Tageszeit – frühmorgens – war sie am reizbarsten.
    Im Lauf der Jahre hatte Appleford gelernt, mit ihr zu leben. Als Verwaltungsbeamtin war sie großartig. Sie besaß Tatkraft; sie war genau; sie übernahm immer – und mit Recht – die letzte Verantwortung; er hatte nie erlebt, daß sie vor der Verantwortung zurückscheute … so auch in diesem Fall nicht. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hatte er sich vorzustellen gewagt, an ihre Stelle zu treten; ganz rational, ganz nüchtern war ihm bewußt, daß er nicht über ihre Fähigkeiten verfügte ; er hatte genug Talent, um als ihr Untergebener zu arbeiten – und er machte seine Arbeit gut – aber das war alles. Er respektierte und fürchtete sie, eine tödliche Kombination in bezug auf jeglichen Ehrgeiz von seiner Seite, in der Hierarchie der Bibliothek eine Sprosse höher zu klimmen. Mavis McGuire war die Chefin, und ihm war es recht; ihm war es jetzt auch recht, ihr das Problem zuschieben zu können.
    »Udi«, sagte Mavis mit schiefem Mund. »Dieser abscheuliche Kult. Ja; mir ist klar, daß Ray Roberts’ hier abkassieren will; ich habe damit gerechnet, daß seine Leute bei uns herumschnüffeln werden. Ich nehme an, Sie haben die Abhörgeräte entfernt.«
    »Natürlich«, versicherte Appleford. Sie lagen noch immer auf dem Teppichboden seines Büros, wo die Kartei sie ausgestoßen hatte.
    »Worauf hatten sie es denn abgesehen?« fragte Mavis mit ihrer leisen, fast flüsternden Stimme.
    »Auf die Grabstätte des Anarchen Peak.«
    »Haben wir diese Information?«
    »Ich habe es nicht überprüft«, gestand Appleford.
    »Ich erkundige mich beim Löschungsrat«, erklärte Mavis, »und stelle fest, ob dieses Faktum freigegeben werden soll; ich frage nach, wie der Rat zu dieser Angelegenheit steht. Im Moment bin ich sehr beschäftigt; Sie entschuldigen mich.« Dann legte sie auf.
    Miss Tomsen meldete sich. »Eine Mrs. Hermes und ein Polizeibeamter Tinbane möchten Sie sprechen, Sir. Sie sind nicht angemeldet.«
    »Tinbane«, wiederholte er. Er hatte den jungen Polizeibeamten immer gut leiden können. Ein Mann, der seine Pflicht so korrekt und zuverlässig erfüllt wie Appleford; sie hatten etwas gemeinsam. Mrs. Hermes; er kannte sie nicht. Wahrscheinlich weigerte sich jemand, ein Buch der Bibliothek zu übergeben; Tinbane hatte schon früher solche Fälle von Besitzgier aufgeklärt. »Schicken Sie sie herein«, entschied er. Wahrscheinlich war Mrs. Hermes eine Horterin – jemand, der sich weigerte, ein Buch abzugeben, dessen Zeit gekommen war.
    Tinbane, in Uniform, kam herein, gefolgt von einem hübschen Mädchen mit erstaunlich langen, dunklen Haaren. Sie wirkte unsicher und hielt sich dicht bei dem Polizisten.
    »Auf Wiedersehen«, begrüßte Appleford sie höflich. »Bitte, setzen Sie sich.« Er stand auf, um Mrs. Hermes einen Stuhl anzubieten.
    »Mrs. Hermes«, erklärte Tinbane, »benötigt Informationen über den Anarchen Peak. Haben Sie vielleicht irgendwelche noch nicht gelöschten Unterlagen, die ihr weiterhelfen können?«
    »Wahrscheinlich«, sagte Appleford. Dies scheint das Thema des Tages zu sein, dachte er. Aber diese beiden Personen schienen im Gegensatz zu Carl Gantrix keine Verbindung zu Roberts’ zu haben, und das änderte seine Einstellung. »Interessieren Sie sich für etwas Bestimmtes?« wandte er sich im freundlichen Tonfall an das Mädchen, bestrebt, es zu beruhigen. Sie war offenbar leicht einzuschüchtern.
    Mit sanfter, leiser Stimme sagte das Mädchen: »Mein Mann möchte, daß ich alles in Erfahrung bringe, was über ihn bekannt ist.«
    »Ich schlage vor«, erwiderte Appleford, »daß Sie sich, statt Manuskripte und Bücher durchzustöbern, an einen Experten für zeitgenössische Religionsgeschichte wenden.« An einen Mann, der außerdem empfänglich für attraktive Frauen war – wie Appleford. Er spielte zur Betonung mit einem Kugelschreiber. »Zufällig weiß ich einiges über den verstorbenen Anarchen.« Er lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück, faltete die Hände, sah hinauf zur Stuckdecke seines Büros.
    »Ich wäre für alles dankbar, was Sie mir sagen können«, erklärte Mrs. Hermes auf ihre scheue Art.
    Schulterzuckend, lächelnd, in Wirklichkeit über ihre Bitte erfreut, begann Doug Appleford seinen Vortrag. Mrs. Hermes und Tinbane hörten mit der gebotenen Aufmerksamkeit zu, und auch das gefiel ihm.
    Zur Zeit seines Todes war der Anarch fünfzig Jahre alt gewesen. Er hatte ein

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