Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Kirche bauen, sondern Entwässerungsgräben anlegen …
Plötzlich hatte Ida Karls Worte wieder im Ohr – ihre Euphorie und Vorfreude verflogen mit einem Schlag und wichen erneuter Sorge. Karl hatte das Verhalten der Siedler so genau vorausgesehen. Aber galt das auch für das Verhalten des Flusses?
Die Siedler arbeiteten im Schweiße ihres Angesichts und in atemberaubender Geschwindigkeit. Tatsächlich standen die provisorischen Unterkünfte für die Familien bereits nach einer guten Woche – einer Woche, die die Männer in Euphorie und Schaffensfreude, die Frauen, schnell ernüchtert, mit dem Kampf gegen Kälte und Nässe verbrachten. Der Frost hatte nicht lange angehalten – wenngleich es reichte, sich in der ersten Nacht im Zelt halb tot zu frieren. Franz hustete am nächsten Tag, und Ida war verzweifelt, weil natürlich niemand daran gedacht hatte, Heilmittel mitzubringen, und seien es nur Honig und Salbeitee. Zum Glück fand sich dann ein Sirup in der Hausapotheke der Missionare – sie schworen darauf, dass er half, obwohl das Rezept von den Einheimischen kam.
Frau Brandmann warnte eindringlich davor, dem Kleinen das Heilmittel zu verabreichen. »Die wollen uns doch alle umbringen! Womöglich ist es ein schleichendes Gift.«
Das erwies sich natürlich als Unsinn. Tatsächlich wirkte der Hustensirup recht gut, reichte aber nicht lange, zumal bald auch andere Kinder und Erwachsene erkältet waren. Mit dem Abschmelzen des wenigen gefallenen Schnees verwandelte sich der Zeltplatz nämlich in eine grundlose Morastfläche. In der Kälte und der Nässe gelang es den Frauen kaum, ein Feuer zum Kochen anzufachen.
Die Männer jedoch triumphierten beim Anblick des Flusses, der nicht wesentlich anschwoll.
»Da seht ihr es, alles Unsinn. Auch wenn es taut, der Fluss bleibt in seinem Bett!«, verkündete Brandmann beim Morgengebet.
Die anderen äußerten sich ähnlich. Sie dankten Gott vielstimmig für die ihnen damit erwiesene Gnade. Ida warf allerdings verstohlene Blicke auf die drei Missionare, die verdächtig still blieben.
»Lasst uns … lasst uns Gott auf jeden Fall bitten, dass es so bleibt«, meinte Pastor Wohlers schließlich, und Pastor Riemenschneider schwächte die Euphorie der Siedler sogar etwas ab.
»Na ja, der Fluss kann schon mal etwas reißender werden …«, murmelte er, aber natürlich ließ sich davon niemand beeindrucken. Die Männer griffen nur umso enthusiastischer zum Werkzeug und begaben sich zu ihren Baustellen – als ein gellender Schrei aus dem Zelt der Krauses alle innehalten ließ.
»Ratten! Mein Baby, mein Gott, mein Baby!«
Ein paar Herzschläge später versammelten sich fast alle Siedler um das Zelt, aber zum Glück war dem kleinen Richard nichts passiert. Die Ratten, die um sein Körbchen geschlichen waren, als Frau Krause ins Zelt kam, hatten allerdings vorher in ihren Vorräten gewütet. Und auch andere Frauen fanden den mitgebrachten Proviant angefressen und durch Kot verunreinigt.
»Wo kommen die so plötzlich alle her?«, erregte sich Ida, die sich von jeher vor Ratten zu Tode fürchtete. »Und was machen wir bloß dagegen, wir …«
»Wir haben dagegen den hier«, erwiderte Pastor Wohlers sichtlich unbehaglich und wies auf einen braun-weißen langhaarigen Hund, den Frau Brandmann und Frau Krause schon mehrmals von ihren Zelten vertrieben hatten.
»Er heißt Chasseur. Aber er jagt nicht gut, die meiste Zeit schläft er. Dabei füttern wir ihn nicht, er sollte also was von dem Viehzeug wegschaffen …«
Der Hund wirkte tatsächlich ziemlich apathisch und war knochenmager – wenn er wirklich nichts zu fressen bekam, war das kein Wunder. Ida erinnerte sich daran, dass ihre Mutter sie stets angehalten hatte, die Katzen gut zu füttern. Nur gesunde, muntere Katzen jagten …
Verstohlen suchte sie unter den noch verwendungsfähigen Nahrungsmitteln nach irgendetwas, das einem Hund schmecken konnte.
Bauer Friesmann verdrehte die Augen. »Der jagt im Leben nicht, Herr Pastor«, bemerkte er. »Das ist ein Hütehund, der stellt Ihnen die Ratten höchstens in die Ecke und passt auf, dass sie nicht weglaufen.«
Idas Vater stellte dagegen eher Grundsatzfragen. »Aber wo kommen die Biester her? Ich denke, es gibt keine Schädlinge in Neuseeland – man sagte uns, was das angeht, hat Gott dieses Land gesegnet.«
Pastor Heine zuckte die Achseln. »Irgendwie müssen sie hergekommen sein. Ursprünglich mit einem Schiff aus Europa. Und hierher, auf die Station … Was weiß
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