Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
die Wege waren ziemlich schmal – eher für Fußgänger oder allenfalls Reiter angelegt als für Wagen. Während der Fahrt fragte sich Cat, warum Laura Gibsons Hof »Fort« nannte. Sie hatte den Begriff noch nie gehört, mochte Joe aber auch nicht um eine nähere Erklärung bitten, nachdem er auf ihre erste Frage nur ungeduldig antwortete, dass es eben ein altes Fort sei.
»Von der Kavallerie?«, erkundigte sich daraufhin erstaunlicherweise Eric. Der schien das Wort also zu kennen. » US -Army?«, schnarrte er weiter.
»Unsinn, die gibt’s doch hier gar nicht!« Betty kicherte. »Gleich fragst du noch nach Indianern! Du liest zu viele Groschenheftchen!«
Cat versuchte, sich aus dieser Unterhaltung etwas zusammenzureimen, kam aber nur zu dem Schluss, dass sich das Wort in den billigen kleinen Heftromanen gefunden haben musste, die auch Mary, das Mädchen im Haushalt der Beits, verschlungen hatte. Mary hatte kitschige Liebesgeschichten bevorzugt. Die Hefte, in denen die Abenteuer der Pioniere im amerikanischen Westen geschildert wurden, lasen wohl eher Jungen.
Betty und Eric spekulierten weiter, ob vielleicht die Engländer das Fort gebaut hätten, aber Gibson reagierte nicht auf ihr Geplapper. Er war ganz offensichtlich verärgert – sein Verhältnis zu den Redwoods war nicht das beste.
Unterdessen rollte der Wagen zwischen bewaldeten Hügeln hindurch, in der Ferne war ein Berg zu erkennen. Dann wich der Wald Grasland – die Gegend musste also irgendwann besiedelt gewesen sein –, und schließlich trieb Gibson seine Pferde einen Hügel mit abgeflachter Kuppel hinauf, Ottfried folgte ihm. Bei schon schwindendem Tageslicht passierten sie eine teilweise eingestürzte Palisade aus Holz, bewehrt mit dornigen Büschen. Ein geschnitztes Tor war noch erkennbar, vom Wind halb umgeweht. Der Weg wurde hier breiter, sicher war er einmal gepflegt gewesen. Er führte zu ein paar halb zerfallenen Langhäusern, die mit Schnitzereien verziert und wohl mal farbig bemalt waren. Aber die Farbe war längst verblasst, die Giebel waren eingebrochen, und die Götterstatuen, die die Eingänge bewacht hatten, musste jemand entfernt haben.
»Da sind wir! Willkommen auf meiner Farm!«, rief Gibson und bestätigte damit Cats ärgste Befürchtungen. »Ich weiß, es sieht alles ein bisschen verfallen aus, doch das lässt sich leicht herrichten.«
»Aber das ist ein pa! «, brach es aus Cat heraus. »Das hier war ein marae! «
Gibson nickte, während Ottfried seinen Wagen neben den seinen lenkte. Ida schaute verstört auf die von der Dämmerung in bläuliche Farben getauchte Verwüstung.
»Sag ich doch, ein Fort, eine Festung«, meinte Gibson. »Richtig, pa nennen sie das, die Maori …«
Neuerdings versuchte er sich abzugewöhnen, von den Maori als den Wilden zu sprechen. Cat hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass dies eventuelle Verkaufsverhandlungen mit Stämmen, in denen jemand Englisch sprach, eher negativ beeinflussen könnte.
»Das haben die Leute Ihnen doch nie verkauft!«, erregte sich Cat. »Das ist … hier kann man nicht wohnen, Gibson! Das ist tapu! «
Joe Gibson lachte dröhnend. »Haben wir da unsere blonde Maori beim Aberglauben ertappt? Ich denk, aus der habt ihr eine brave Christin gemacht, in eurem Sankt Paulidorf, Otie! Und jetzt hat sie Angst vor den Geistern!«
»Gibt’s hier Geister?«, fragte Betty nervös.
Es erschien ihr nicht unwahrscheinlich. Die verfallenen Häuser, der Wind, der ungehindert zwischen verlassenen Feldern und Versammlungsplätzen flüsterte … und der Mond, der langsam über dem Berg aufging, der die Halbinsel beherrschte, während die blaue Dämmerung der sternklaren Nacht wich. Betty schob sich näher an Eric.
»Was ist tapu? «, fragte Ida.
Es sprach für ihr eigenes unwohles Gefühl, dass sie Bettys bange Frage unbeantwortet ließ. Gewöhnlich hätte sie das Mädchen gerügt. Als gläubige Christin durfte sie sich vor Geistern nicht fürchten!
» Tapu heißt so was wie verboten«, erklärte Cat. »Hier darf ganz sicher keiner wohnen!«
Ottfried schnaubte und machte Anstalten, vom Wagen zu klettern. Das am besten erhaltene Haus war offenbar das frühere Versammlungshaus, in dem ein Maori-Stamm meist auch schlief. Hier jedenfalls hing die Tür noch in den Angeln, und der Zimmermann erkannte im letzten Tageslicht, dass daran jemand Reparaturen vorgenommen hatte. Nicht schön, aber funktional, Gibson hatte wohl selbst gewerkelt. Wahrscheinlich war dies seine
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