Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
Mittagessen für die Männer kochst!«
Laura hatte das dann auch getan und fünf Tage später gleich noch einmal. Seitdem war in Idas Haus kein Nager mehr gesehen oder gehört worden.
Bis zu diesem Tag.
Mitten auf Idas Küchentisch hockte eine riesige schwarze Ratte mit spitzem Gesicht, großen Ohren und langem, kahlem Schwanz, knabberte an ihrem Brot und blinzelte die junge Frau frech an. Idas erster Impuls war zu schreien. Zu Hause in Raben Steinfeld hatte ihr alarmierter Ruf aus der Küche oder der Speisekammer stets ihren Vater oder Anton herbeigerufen, und sie hatten die Ratte erschlagen oder mit der Schleuder erlegt. Gibson erschlug die Tiere geschickt mit Stöcken – und wenn sie jetzt rief, kam vielleicht wenigstens Chasseur. Sofern sie die Tür nicht hinter sich geschlossen hatte … Doch Ida wusste genau, dass die Haustür hinter ihr zugefallen war.
Erstarrt und voller Ekel blickte sie nun auf das spitznasige, geschäftig schnüffelnde Tier, das sich ohne jede Furcht in ihrer Küche an ihrem Brot gütlich tat. In ihrem Kopf explodierte alles, was sie über Ratten wusste: Dies war kein Einzelexemplar, wo eine war, da waren auch andere. Die Lebensmittel, die sie nicht fraßen, verunreinigten sie – und letztlich machten sie auch vor der Wiege der Kinder nicht Halt. In einem Anfall von Grauen sah Ida sie vor sich, angefüllt mit schwarzen, stinkenden, verflohten Viechern, die mit spitzen Zähnen nach Carol und Linda bissen. Sie meinte fast, ihre Schreie zu hören, brachte selbst jedoch nur einen erstickten Ton heraus. Und wieder erfasste sie Entsetzen: Sie war ganz allein, sie war hilflos …
Aber halt, das war sie natürlich nicht! Ida fühlte, wie ihre Starre sich löste. Rückwärts, die Ratte nicht aus den Augen lassend, schob sie sich in die Küche und öffnete mit zitternden Fingern den Schrank, in dem sie den Colt verwahrte. Sie hatte ihn niemandem gezeigt – eigentlich hatte sie gar nicht mehr daran gedacht, nachdem die Männer und Cat zurückgekommen waren. Jetzt tastete sie nach der Kiste, in der der Revolver geladen verstaut war, sie brauchte sie nur zu öffnen und das Ding herauszunesteln. Es ging tatsächlich erstaunlich einfach. Und die Waffe passte sich ihrer Hand wieder ebenso beängstigend wie tröstlich an.
Ida richtete den Lauf auf die Ratte. Sie erinnerte sich genau, wie man die Waffe hielt, und sie wusste auch noch, wie es ging, sie zu entsichern. Ida fühlte Übelkeit in sich aufsteigen, als sie das jetzt tat – und erschrak, als das Tier auf das Klicken des Hebels reagierte. Es linste unsicher zu Ida herüber, setzte sich dann wieselflink in Bewegung, rannte am Tischbein hinunter … Ida hoffte, die Ratte würde in irgendeinem Loch verschwinden, bevor sie zielen konnte, auch wenn sie sich dann vor Angst vor ihrer Rückkehr kaum würde halten können. Aber dann hielt das Tier inne und machte Anstalten, am Küchenschrank hochzuklettern. Ida holte tief Luft. Sie konnte das nicht zulassen, der Brei für die Mädchen stand neben dem Ofen … Entschlossen zielte sie und zog den Abzug durch.
Der Knall war ohrenbetäubend, und der Rückstoß ließ sie zurückstolpern. Sie hatte vergessen, wie hart er ausfiel und wie er ihre Ohren dröhnen ließ. Ida brauchte ein paar Herzschläge, um sich erneut in ihrer Küche zu orientieren, nachdem der Knall verhallt war. Die Waffe rauchte – und die Ratte war verschwunden. Wahrscheinlich war sie hinter den Schrank geflohen, sie konnte sich nicht vorstellen, das Tier erschossen zu haben. Dann entdeckte sie das Loch, das die Kugel in den Schrank geschlagen hatte – zu ihrer Überraschung nur zwei oder drei Finger breit entfernt von der Stelle, an der die Ratte eben noch gewesen war. Sie hatte sie nur knapp verfehlt. Die Holzscheite damals auf dem Zaun der Redwoods hatte sie getroffen. War das tatsächlich Anfängerglück gewesen? Hatte Ed Redwood Recht, und es war wirklich nur Zufall? Aber gleich drei- oder viermal nacheinander? Oder war sie doch eher das Naturtalent, von dem Laura gesprochen hatte?
Ida betrachtete die Waffe mit neuem Interesse. Eigentlich war es leicht gewesen, sie abzufeuern, ihre Nervosität erschien ihr jetzt albern. Sie inspizierte die Trommel, in der noch vier Patronen steckten.
Aber dann wurden ihre Überlegungen unterbrochen. Chasseur bellte, und eins der Babys begann zu schreien – natürlich, der Schuss musste den Hund alarmiert und die Mädchen geweckt haben, und es war ja ohnehin Essenszeit. Innerlich immer noch
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