Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
schreien. Sie mussten erschrocken sein, Ida hatte den Korb vor dem Kuhstall abgestellt, und Chasseur hockte wahrscheinlich eingeschüchtert in irgendeiner Ecke. Der Revolver machte ihm immer noch Angst.
Ida rief den zitternden Hund hinter einem Strohhaufen hervor und beruhigte dann die Kinder. Linda streckte ihr die Ärmchen entgegen, um aufgenommen zu werden, Carol hatte die kleine Stirn schon wieder gerunzelt und funkelte sie an – ihre Augen würden wohl blau bleiben, aber Ida dachte weniger an Porzellan denn an Stahl, wenn sie in das Gesicht ihrer Tochter blickte. Und an diesem Tag war sie zum ersten Mal stolz darauf. Dieses Kind empfand offenbar jetzt schon Zorn.
»Ich werde dir beibringen, wie man schießt«, versprach sie dem winzigen Wesen. »Du wirst nie um Demut beten!«
Geschäfte
Canterbury Plains, Südinsel
Wellington, Nordinsel
1845–1846
KAPITEL 1
Während Chris Fenroy von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeitete, kämpfte seine junge Frau mit Unmut und Langeweile – fast so, wie sie es im Hause ihres Vaters getan hatte, seit sie denken konnte. Nun war es natürlich nicht so, als gäbe es auf der Farm in den Plains nichts zu tun. Im Gegenteil, Jane fand sich stärker beschäftigt als je zuvor, was hauptsächlich ihrem »Personal« zu verdanken war. Die von ihr als Helferinnen in Haus und Garten auserwählten Maori-Mädchen erschienen tatsächlich fast jeden Tag. Als Jane sie einmal ungeduldig anblaffte, kamen sie einige Zeit nicht mehr. Irgendwann fanden sie sich zwar wieder ein, doch den Versuch, sie an geregelte Arbeitszeiten zu gewöhnen, hatte Jane bald aufgegeben. Die selbstbewussten Maori-Frauen gaben sich auch nicht damit zufrieden, dass Jane ihnen die Arbeit anwies. Offenbar waren sie es gewohnt, mit hochrangigen Persönlichkeiten ihres Stammes Seite an Seite zu arbeiten, und sie wollten dabei unterhalten werden. Jane brachte den Mädchen also Englisch bei, und nicht nur das, Omaka bestand darauf, dass Jane bei der Gartenarbeit mitwirkte und geduldig die Worte der passenden karakia zum Setzen der kumara und Aussäen des Korns wiederholte.
»Du mitsingen. Du hier wohnen mit Geister. Wenn nicht singen, Geister erzürnt, dann nicht wachsen Korn …«
Jane fiel das alles auf die Nerven, doch ihr fehlte der Wortschatz, den Frauen das Verhältnis zwischen Herrn und Diener verständlich zu machen. Bei den Maori schien es das auch höchstens zwischen Besitzer und Sklave zu geben – man versklavte schon mal die Verlierer eines Krieges. Allerdings hatten die Ngai Tahu schon länger keine Kriege geführt, und verschiedene Hautfarben schienen sie nicht als Zeichen von Status, sondern lediglich überaus interessant zu finden. Christopher musste sich ständig irgendwelcher Frauen erwehren, die sich ein Kind von ihm wünschten.
Nun gab es aber auch kaum etwas, womit man den Einheimischen die intellektuelle Überlegenheit der weißen Rasse begreiflich machen konnte. Im Gegenteil, wenn Jane ehrlich sein sollte, so lernten die Maori weitaus schneller Englisch als sie selbst Maori. Allein mithilfe einer schlecht übersetzten Bibel vollzog sich Janes Sprachstudium quälend langsam. Sie war ein analytisch denkender Mensch, eine Sprache erfasste sie am besten mittels Grammatik und Vokabellernen. Eine Grammatik der Maori-Sprache gab es allerdings noch nicht. Entweder man erfasste die Sprache intuitiv, was Jane nicht lag, oder man erarbeitete sich die Verbformen und Präpositionen mühsam mithilfe des vergleichenden Bibelstudiums. Jane versuchte Letzteres und verzweifelte beinahe daran, zumal ihr Mann ihr keine große Hilfe war. Chris war nicht ungebildet, hatte jedoch nie eine richtige Schule besucht. Seine Mutter, die in England eine ordentliche Mädchenbildung genossen hatte, hatte ihm Lesen und Schreiben beigebracht und sein großes Interesse an Büchern geweckt. Chris las, was er in die Hände bekam, eine englische Grammatik war nie darunter gewesen. Insofern wusste er kaum, was Jane mit Begriffen wie Konjugation oder Deklination meinte. Er konnte ihr zwar Wörter und Sätze auf Maori übersetzen, erstellte aber keine Tabellen, Paragrafen und Lektionen, wie sie es sonst aus Grammatiken und Lehrbüchern kannte. Hinzu kam, dass die Maori völlig anders dachten. Für manche Sätze schien es einfach keine Übersetzung zu geben, oder eine wörtliche Übersetzung könnte leicht mal falsch verstanden werden. Und alles, was man sagte und meinte, war von Mythen und spirituellen Überlegungen durchsetzt.
Weitere Kostenlose Bücher