Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
der Essensausgabe getröstet.
Wie für alle anderen Aufgaben hatten sich auch dafür mehrere Auswanderer beworben. Sämtliche Amtsinhaber nahmen die Sache äußerst ernst und pochten auf ihre Autorität. Als Karl am Abend die Essensrationen für sein Quartier abholte, wurde er auf dem Weg gleich dreimal kontrolliert. Hannes wurde am nächsten Morgen sogar wegen unangemessener Kleidung gerügt – man schickte ihn in seine Unterkunft zurück, als er mit nacktem Oberkörper zu den Latrinen tappte.
Karl selbst hatte sich nicht um ein Amt beworben und hätte es wohl auch kaum erhalten – die Raben Steinfelder sprachen nicht mit ihm. In ihren Augen hatte er sich die Passage »irgendwie erschlichen«, und das schienen sie ihm übel zu nehmen. Auch Beit war eher unfreundlich. Vielleicht bereute er ja schon, dem Gesuch des Tagelöhners nachgegeben zu haben – schließlich hatte es wohl gleich Schwierigkeiten mit Brandmann gegeben. Karl hatte von der Auseinandersetzung auf dem Gang gehört. So hielt er sich erst mal zurück und verbrachte die Zeit mit seinen Büchern in seiner Koje. Er las das Büchlein über Neuseeland rasch durch und vertiefte sich dann in das englische Wörterbuch. Nur zur Freistunde an Deck verließ er den Verschlag der Junggesellen. Hier konnte er schließlich darauf hoffen, Ida zu treffen und vielleicht sogar ein paar Worte mit ihr zu wechseln.
In den ersten beiden Tagen erwies sich das jedoch als unmöglich. Die junge Frau stand inmitten der Dörfler aus Raben Steinfeld an der Reling und bestaunte das Meer, das sich grau und weit vor ihnen auftat. Da wenig Wind wehte, gab es keine Brandung, und Eisschollen trieben auch nicht auf dem Salzwasser. Es war nur eine leicht bewegte stahlgraue Fläche, die in der Ferne mit dem ebenfalls grauen Himmel verschmolz. Karl fand den Anblick nicht so erhebend, wie er ihn sich nach der Lektüre des Büchleins über Kapitän Cook vorgestellt hatte, sondern eher eintönig und deprimierend.
Dann jedoch, am dritten Tag der Reise, als sie mitten auf dem Atlantik waren, kam heftiger Wind auf. Plötzlich hatten die Wellen schäumende Kämme, die sich an den Planken des Schiffes brachen und die Siedler nass spritzten, wenn sie sich zu nah an die Reling wagten. Es regnete auch zum ersten Mal. Eiskalter Sprühregen peitschte die Wangen der Passagiere, und schließlich trieben die Matrosen die Leute vor der Zeit zurück in ihre Unterkünfte.
»Es kommt Sturm auf«, verriet einer der Seeleute Karl, der nicht verärgert lamentierte wie viele andere, sondern höflich nach dem Grund fragte. »Wir machen die Schotten dicht.«
Tatsächlich beobachtete Karl besorgt, dass die Luken zum Zwischendeck geschlossen wurden. Die Luft dort wurde dadurch noch stickiger, und die Menschen klagten, als es obendrein vor der Zeit dunkel wurde. Auch die verstärkten Schiffsbewegungen wirkten beängstigend, die ersten Reisenden klagten über Übelkeit und belagerten die wenigen Latrinen. Das war jedoch nur der Anfang. Bald wurde das Schiff vom Sturm hin und her geworfen, und das Zwischendeck verwandelte sich in eine Hölle aus Lärm, herumwirbelnden Gegenständen, betenden, schreienden und sich übergebenden Menschen.
Karl, der zunächst in seiner Koje blieb, hörte die Ordner Befehle brüllen und die Frauen weinen. Dabei hätte er lieber auf die Geräusche vom Oberdeck gelauscht, auf die Rufe der Seeleute, auf den Wind in den Segeln – oder zog man die Segel bei solch einem Wetter ein? Vielleicht hätte man daraus ja auf die wirkliche Gefährdung durch den Sturm schließen können. Er fand es beruhigend, dass Hannes und Jost, die beide früher zur See gefahren waren, nicht besonders erschüttert wirkten. Sie schienen einfach zu versuchen, etwas Schlaf zu finden. Karl dagegen hielt die Untätigkeit irgendwann nicht mehr aus. Er kämpfte sich über den gefährlich schwankenden Boden in die Richtung, in der er Idas Quartier vermutete. Vielleicht würde er sie nicht sehen, aber er hatte das Bedürfnis, ihr nahe zu sein und ihr vielleicht sogar ein paar tröstende Worte zu sagen.
Und dann traf er sie tatsächlich auf dem Gang. Bleich, erschöpft und verängstigt balancierte sie einen Eimer mit Erbrochenem in Richtung Latrinen.
»Ida! Geht es dir gut?« Karl versuchte spontan, ihr den Eimer abzunehmen, doch sie hielt ihn fest, es war ihr wohl peinlich.
»Gut?«, fragte sie schwach. Er wusste, die Frage war dumm gewesen. »Das Schiff geht unter, und du fragst, ob es mir gut geht?«
Karl winkte
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