Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
verstanden sie die Warnung und hätten ihre Frauen und Kinder auf keinen Fall solchen Gefahren ausgesetzt. Was jedoch sprach dagegen, dass die Männer sich ein wenig an Land umsahen?
Schließlich verließen elf jüngere Auswanderer, allesamt Heißsporne, unerlaubt das Schiff und fragten sich tatsächlich bis zum deutschen Konsulat durch, um dort ihre Petition gegen Beit vorzulegen. Großen Erfolg hatte ihre Beschwerde allerdings nicht. Das Botschaftspersonal hörte sich ihre Klagen an, nahm das Schreiben entgegen und versprach, es an die New Zealand Company weiterzuleiten – aber konkrete Hilfsmaßnahmen konnte man nicht einleiten. Immerhin begleitete ein Botschaftsmitarbeiter die Männer zurück zum Schiff und bat um eine Unterredung mit Beit und dem Kapitän. Das Ergebnis war ein wutschnaubender Agent, der sich sofort rächte, als der Botschaftsangestellte von Bord war. Er bestellte die Aufrührer an Deck, ließ sie stundenlang in glühender Sonne warten, bis sein »Urteil« gefällt war, und verlangte von jedem eine halbe Krone Strafe für unerlaubtes Verlassen des Schiffes. Die meisten Siedler waren daraufhin demoralisiert – alle hatten auf ein Einschreiten des Konsuls gehofft – und harrten still bei Schiffszwieback und Pökelfleisch auf dem Zwischendeck aus, bis ihnen die versprochenen Quartiere an Land endlich zugewiesen wurden.
Nur Karl Jensch verließ im Gefolge der Matrosen, die direkt Landurlaub erhalten hatten, heimlich das Schiff. Fasziniert erforschte er die Stadt und beobachtete die Menschen – meist kleine, braunhäutige und schwarzhaarige Männer und Frauen, in bunte Gewänder gekleidet. Sie lachten viel und sprachen laut in wieder einer anderen, für Karl fremden Sprache, aber im Hafenbereich verstanden die meisten ein paar Brocken Englisch. Karl war überaus stolz, als seine schüchternen Fragen nach einem Badehaus beantwortet wurden. Es entpuppte sich allerdings als fragwürdiges Etablissement, zu dem zwar ein paar der Vokabeln passten, die ihm die Matrosen vermittelt hatten, das die Benutzung von Badezubern jedoch nur in Verbindung mit Begegnungen und Handlungen anbot, die Karl das Blut in die Wangen trieben. Was das Essen anging, war er erfolgreicher. In einer Garküche nahm man einen seiner gut gehüteten Pfennige an und servierte ihm dafür einen scharfen Bohneneintopf mit Fleisch, dazu Reis und Früchte. Letztere nahm er mit aufs Schiff und legte sie für Ida unter den Sitz des Rettungsbootes.
To eat , schrieb er auf einen weiteren, aus seinem alten Schulheft gerissenen Zettel – er würde bald ein neues benötigen. Mango, banana, orange.
Karl setzte auf Deutsch ein »Du musst sie schälen« hinzu – er selbst hatte zunächst versucht, einfach so in die Banane zu beißen, und der Wirt hatte ihm lachend gezeigt, wie man die Schale entfernte. Was das auf Englisch hieß, hätte er zwar nachschlagen können, aber Ida hätte es sicher überfordert. Dabei wuchsen ihre Englischkenntnisse – zumindest, was das geschriebene Wort anging. Karl hinterließ ihr jeden Tag einen Zettel mit neuen Wörtern und Sätzen, und Ida schrieb zurück, indem sie die Sätze umstellte und versuchte, neue zu bilden.
I am glad arrive in Bahia. I see forest and sand. Und in der letzten Zeit wurden es sogar schon kleine Briefe in der neuen Sprache, die Karl und Ida tauschten: Beit say, we live in house in Bahia. Ida see Karl , when live in house.
Wenn die Siedler an Land untergebracht werden würden, sollte es einfacher sein, sich zu treffen. Das hoffte auch Karl und freute sich, dass der Kapitän den Passagieren am Tag nach seinem unerlaubten Landgang eröffnete, es würden nun Quartiere etwas außerhalb von Salvador bereitgestellt.
Aufatmend verließen die Menschen das Zwischendeck und bezogen Hütten am Strand, die Brandmann verächtlich Baracken nannte. Er beschwerte sich gleich wieder, als seine Frau die ersten Küchenschaben entdeckte.
Ida dagegen war wie verzaubert. Zugegebenermaßen waren die mit Palmwedeln gedeckten Holzhäuser primitiv, aber der Strand, an dem sie lagen, erschien ihr unvorstellbar schön und der sich dahinter auftuende Tropenwald wie ein einziges Wunder. Die Sonne strahlte zuverlässig jeden Tag von einem wolkenlosen Himmel und ließ den Sand golden und das Meer azurblau leuchten. Es duftete nach exotischen Blüten, und am Abend scholl von der Stadt her Musik herüber. Trommeln, Flöten und Mandolinen, deren Klänge sich zu wilden Rhythmen verbanden – Ida hatte nie so schnelle
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