Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
die anderen sie immer noch einsetzen und nicht glauben wollen, man habe sie niedergelegt.«
»Wenn Ihr ihn dermaßen bewundert«, bemerkte Bard gereizt, »muß ich dann damit rechnen, daß auch Ihr desertiert und unter die Fahnen dieses herrlichen großen Mannes Varzil eilt? Er ist ein Ridenow von Serrais.«
»Sicher, so ist er geboren. Aber jetzt ist er Varzil von Neskaya und schuldet nur seinem Turm Loyalität. Und Eure Frage, Meister Bard, ist unnötig. Ich habe König Ardrin einen Eid für mein ganzes Leben geleistet, und ich werde ihn weder für Varzil noch für einen anderen brechen. Ich hätte treu zu Ardrins Sohn gehalten, wäre Königin Ariel nicht mit ihm außer Landes geflohen. Ich folge dem Banner Eures Vaters, weil ich fest glaube, daß dies das beste für Asturias ist. Aber ich bin nicht der Hüter von Meloras Gewissen. Und tatsächlich hat sie Ardrins Hof in der gleichen Nacht verlassen, als Ihr verbannt wurdet, Sir - lange bevor es nötig wurde, sich zwischen Valentines Sache und Alarics zu entscheiden. Valentine war damals nicht einmal geboren. Und sie ging mit des Königs Erlaubnis.«
»Trotzdem«, wandte Bard ein, »wenn sie sich entschlossen hat, nicht gegen die Feinde von Asturias zu kämpfen, muß ich sie dann nicht zu diesen Feinden zählen?«
»So seht Ihr es, Sir. Aber Ihr müßt auch bedenken, daß sie sich gleichfalls entschieden hat, nicht an der Seite der Feinde von Asturias zu kämpfen. Das hätte sie leicht tun können. Nicht alle Mitglieder von Varzils Kreis haben den Vertrag beschworen, sondern Neskaya verlassen und sich der Hastur-Partei in jener Armee angeschlossen. Melora blieb bei Varzil, und das bedeutet, daß sie neutral bleiben wird, Sir. Und meine Enkelin Mirella ist in den Hali-Turm gegangen, der sich ebenso wie Neskaya zur Neutralität verpflichtet hat. Ich bin ein alter Mann, und ich stehe treu zu meinem König, solange er mich braucht. Aber ich bete darum, daß die jungen Leute einen Weg finden, Schluß mit diesen verdammenswerten Kriegen zu machen, die Jahr für Jahr unser Land verwüsten. «
Bard gab keine Antwort darauf. Er sagte: »Ich möchte an Melora nicht gern als an meine Feindin denken. Wenn sie nicht meine Feindin ist, soll es mir recht sein, daß sie neutral bleibt. «
Paul, der zwischen Bard und Melisandra ritt, dachte darüber nach, wieso Melora diesen Ausdruck von Zorn und Leid und Kummer in Bards Gesicht brachte. Meister Gareth erklärte: »Eure Feindin ist sie niemals gewesen, Sir. Sie hat immer gut von Euch gesprochen.« Bard spürte, daß sowohl Melisandra als auch Paul seine Gedanken lasen, und bemühte sich wütend, sie unter Kontrolle zu halten. Was bedeutete ihm diese Frau Melora überhaupt? Dieser Teil seines Lebens war vorbei. Wenn dieser Feldzug abgeschlossen war, wollte er allen seinen Leroni befehlen, eine Methode auszuarbeiten, nach der er die Insel des Schweigens angreifen und Carlina heimholen konnte. Und dann brauchte er nie wieder an Melora zu denken. Oder- er fing einen Blick auf, den Paul und Melisandra wechselten - an Melisandra. Paul konnte sie von ihm aus gern haben. Wenigstens kam er dann eine Weile nicht auf gefährliche Gedanken.
Eine Weile. Bis ich sicher im Sattel sitze und Alaric König über alle diese Länder ist. Danach stellt er ein zu großes Risiko für mich dar. Er ist ehrgeizig, und er hat sich bis dahin daran gewöhnt, Macht auszuüben
Zu seiner eigenen Überraschung bereitete ihm der Gedanke Schmerz. Sollte er niemals einen Freund, einen Bruder, einen ihm Gleichgestellten haben, dem er vertrauen konnte? Mußte er jeden Freund und Peer verlieren, wie er Beltran und Geremy verloren hatte? Vielleicht fiel ihm doch noch eine andere Möglichkeit ein-, vielleicht brauchte Paul nicht zu sterben.
Ich will ihn nicht verlieren, wie ich Melora verloren habe … Wütend gebot er sich Einhalt. Er wollte nicht wieder an Melora denken!
Plötzlich riß Melisandra an den Zügeln und hielt ihr Pferd an. Ihr Gesicht verzerrte sich, und gleichzeitig warf Meister Gareth die Hände hoch, als wolle er ein unsichtbares Übel abwehren. Eine Frau unter den Leroni schrie, einer der Männer würgte vor Entsetzen, beugte sich über seinen Sattel und klammerte sich, beinahe unfähig zu sitzen, instinktiv dort fest. Bard sah erstaunt und bestürzt zu ihnen hin. Paul drängte sein Pferd schnell an das Melisandras und stützte sie, die im Sattel schwankte. Sie war bleicher als der Schnee am Wegrand. Sie achtete nicht auf ihn. »Oh … das Sterben,
Weitere Kostenlose Bücher