Die Zeit der Hundert Königreiche - 4
gerechnet; er wußte, daß die meisten Le roni sich Liebhaber nahmen, wenn sie wollten. Er wünschte, es wäre Melora gewesen. Melora hätte auf seinen eigenen Hunger reagiert. Melisandra war nur ein schlaffer, unwilliger Körper in seinen Armen gewesen. Und doch … und doch war auch das erregend, zu wissen, daß er ihr ihren Willen aufzwang und daß sie ihn nicht zum Narren halten konnte, wie es Melora getan hatte.
»Verdammt noch mal, hör auf zu heulen«, sagte er. »Es ist nun einmal Passiert.«
Sie mühte sich, ihr Schluchzen zu unterdrücken. »Warum bist du böse auf mich, jetzt, wo du deinen Willen gehabt hast?«
Warum sprach sie, als sei sie unwillig gewesen? Er wußte doch, wie sie ihn angesehen hatte. Er hatte ihr nur eine Gelegenheit gegeben, zu tun, was sie tun wollte, ohne sich mit törichten Skrupeln abplagen zu müssen wie jene, die Melora aus seinen Armen ferngehalten hatten! »Meine Lady wird zornig sein«, sagte sie. Und was soll ich tun, Cousin, wenn ich ein Kind von dir bekomme?«
Er warf ihr ihre Kleider zu. »Das geht mich nichts an. Ich gehe ins Exil. Oder bist du so wahnsinnig verliebt in mich, daß du, als Mann verkleidet, mit mir reiten willst, wie es ein Mädchen in irgendeiner alten Ballade tat, die ihrem Liebhaber als Page folgte? Nein? Nun, Damisela, du wirst weder die erste noch die letzte sein, die dem Haus di Asturien einen Bastard gebiert. Meinst du, du seist etwas Besseres als meine eigene Mutter? Solltest du wirklich ein Kind bekommen, bin ich überzeugt, daß mein Vater weder dich noch das Kind auf den Feldern verhungern läßt.«
Sie sah ihn mit ihren großen Augen an und wischte die Tränen fort, die ihr immer noch über das Gesicht strömten.
»Du bist kein Mensch«, flüsterte sie, »du bist ein Teufel! « »Nein«, entgegnete er mit hartem Auflachen. »Hast du es nicht gehört? Ich bin ein Gesetzloser und ein Wolf. Der König hat es gesagt. Da kannst du doch nicht von mir verlangen, daß ich mich wie ein Mensch benehme!«
Sie ergriff ihre Kleider und floh, und ihr Schluchzen verklang, wie ihre leichten Schritte auf der Treppe erstarben.
Bard warf sich auf sein Bett. Die Laken hatten den Duft ihres Haares angenommen. Verdammt, dachte er jammervoll, es hätte Carlina sein sollen …
Ohne Carlina bin ich ein Gesetzloser, ein Bastard … ein Wolf… und Wut und Stolz und Sehnsucht überwältigten ihn.
Es wäre so ganz anders mit dir gewesen … Carlina, Carlina! Am Vormittag nahm er unter Umarmungen und Ausrufen des Bedauerns Abschied von seinem Vater und von Alaric und ritt davon. Aber er war jung, und er wußte, er zog auf Abenteuer in die Welt hinaus. Seine Niedergeschlagenheit dauerte nicht lange. Die anderen mochten es Verbannung nennen, doch für einen jungen Mann mit Kriegserfahrung war es ein Abenteuer und die Hoffnung auf Gewinn, und in sieben Jahren konnte er zurückkommen.
Während er dahinritt, löste sich der Nebel auf, und das Wetter wurde schön. Vielleicht sollte er in die Trockenstädte reiten und anfragen, ob der Lord van Ardcarran einen Schwertkämpfer brauchte, einen Leibwächter, der die Sprachen von Asturias und der westlichen Länder beherrschte und seine Gardisten im Fechten unterrichten und ihn gegen seine Feinde verteidigen konnte. Feinde hatte er bestimmt viele. Dabei fiel Bard das Rüpellied seiner Soldaten ein:
Es zogen einmal vierundzwanzig
Leroni nach Ardcarran;
Jetzt macht von ihnen keine mehr
Gebrauch von ihrem Laran …
Sie waren sicher, dachte er, wie Mirella gewesen, Leroni, die des Gesichts wegen Jungfrauen bleiben mußten. Warum eigentlich konnten nur Jungfrauen diese besondere Form des Laran ausüben? Er wußte zu wenig über Laran, nur, daß es etwas war, das er fürchtete, und doch hätte es anders kommen können. Ebenso wie Geremy hätte er dazu ausgewählt werden können, ein Laranzu zu werden und in der Schlacht einen Sternenstein statt eines Schwertes zu tragen … Er pfiff noch ein paar Verse des unanständigen Liedes, aber seine Stimme erstarb im weiten, leeren Raum. Er wünschte, irgendein Freund oder Verwandter oder auch nur ein Diener ritte mit ihm. Oder eine Frau Melora an seiner Seite auf ihrem Eselchen, mit der er über Krieg und Moralbegriffe und ehrgeizige Pläne sprechen konnte, wie er niemals mit einer Frau oder auch mit einem Mann gesprochen hatte … Nein. Er wollte nicht an Mclora denken. Wenn er an Melora dachte, dachte er an ihr leuchtendrotes Haar, und das erinnerte ihn an Melisandra, die schlaff und verzweifelt in
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