Die Zeit der Katzenpfoten
nickte. »Ob es wohl eine Möglichkeit gibt, zu erfahren, was aus ihr und den Kindern geworden ist? Sie war ja noch jung, als ich umkam – ungefähr dreiunddreißig, glaube ich. Wenn man einen toten Mann in der Gefriertruhe hat – ich meine, vielleicht wollte sie ja wieder heiraten. Ich hätte es ihr gewünscht. Ich weiß nicht …« Er überlegte, was er eigentlich hatte sagen wollen.
»Einiges weiß ich von Hara – er hat da irgendwelche Aufzeichnungen. Sie hat noch fast fünfzig Jahre gelebt und war schon über achtzig, als sie nach dem dritten Schlaganfall starb. Vorher war sie schon eine ganze Zeit lang halb gelähmt.« Er schüttelte den Kopf und versuchte vergeblich, sich die kleine, blonde Dorothy als uralte, bettlägrige Dame vorzustellen.
»Bist du fertig?« fragte Adne.
Die Frage rief ihn plötzlich wieder in die Gegenwart zurück.
»Mit dem Essen? Danke, ja. Hat großartig geschmeckt.« Sie brachte den Tisch zum Verschwinden und stand auf. »Komm und trink deinen Kaffee. Ich hab ihn extra für dich bestellt. Wie wär’s mit ein bißchen Musik?«
Ihm lag eigentlich nichts daran, aber bevor er etwas sagen konnte, hatte sie schon ein Übertragungsgerät angestellt. Er horchte mißtrauisch und machte sich auf alles mögliche von Bartôk bis zu Zwölftonmusik gefaßt, doch zu seiner Erleichterung hörte er etwas, das nach Geigen und kühlem, distanziertem Tschaikowski klang.
Sie lehnte sich an ihn, und er spürte den Duft und die Wärme ihres Körpers. »Wir müssen ja noch eine Wohnung für dich finden«, sagte sie.
Er legte den Arm um sie.
»Das hier ist ein Gemeinschaftshaus«, sagte sie nachdenklich. »Vielleicht ist was frei. Hast du besondere Wünsche?«
Er streichelte ihr weiches Haar. »Ich weiß zu wenig, um besondere Wünsche zu haben.«
Sie sagte schläfrig: »Das tut gut.« Einen Augenblick später setzte sie im gleichen Ton hinzu: »Vielleicht sollte ich dir lieber sagen, daß ich nach dem Naturrhythmus lebe. Und heute ist M-Tag weniger vier, da möchte ich nur ein bißchen schmusen.« Sie gähnte und hielt sich die Hand vor den Mund. »Entschuldige.«
Zufällig fiel ihr Blick auf sein Gesicht. »Es macht dir doch hoffentlich nichts«, fragte sie und setzte sich auf. »Ich könnte natürlich eine Pille nehmen – Charles, warum wirst du denn rot?«
»Ach, nichts. Gar nichts.«
Sie sagte wie um Entschuldigung bittend: »Es tut mir leid; ich weiß so wenig über Kamikaze-Sitten. Habe ich gegen irgendein rituelles Tabu verstoßen? Wirklich, es tut mir leid –«
»Nein, nein, keine Angst. Es war nur ein Mißverständnis.« Er hielt ihr sein Glas hin. »Ist davon noch was da?«
»Soviel du willst, Charles.« Sie stand auf und reckte sich. »Mir ist übrigens was eingefallen.«
»Dann schieß mal los.«
»Ich weiß, wo wir eine Wohnung für dich herkriegen«, erklärte sie. »Darf ich dich ein Weilchen allein lassen? Wenn du was trinken möchtest, bestell dir bitte was, ja?« Sie drückte einen unsichtbaren Knopf und fuhr fort: »Die Kinder zeigen dir, wie man’s macht, wenn du nicht zurechtkommst. Sie können dir solange Gesellschaft leisten.«
An der Stelle, wo er bisher nur ein bodenlanges Wandgemälde gesehen hatte, öffnete sich eine Tür und gab den Blick in ein helles, freundliches Zimmer frei, in dem zwei kleine Kinder in einem Klettergerüst Fangen spielten.
»Wir haben schon Abendbrot gegessen, Mim«, rief das eine.
Dann erblickte es Forrester und stieß das andere an. Die beiden musterten ihn ernsthaft.
»Das stört dich doch nicht, nicht wahr?« fragte Adne. »Das gehört nun mal zum Naturrhythmus dazu.«
Es waren ein Junge und ein Mädchen; Forrester schätzte sie auf etwa sieben und fünf Jahre. Sie akzeptierten ihn mit großer Selbstverständlichkeit, ohne irgendwelche Fragen zu stellen.
Das heißt – so ganz ohne Fragen ging es nun auch wieder nicht ab. Und was für Fragen, dachte Forrester kläglich.
»Charles! Stimmt es wirklich, daß die Leute damals schlecht g erochen haben?«
»Hör mal, Charles, bist du auch manchmal Auto gefahren?«
»Die armen kleinen Kinder, die in den Bergwerken arbeiten mußten – bekamen die überhaupt nichts zu essen?«
»Womit haben sie eigentlich gespielt? Konnten ihre Puppen wirklich nicht sprechen?«
Er versuchte ihre Fragen zu beantworten, so gut er konnte. »Wißt ihr, das mit der Kinderarbeit war schon vorbei, als ich lebte, oder jedenfalls größtenteils. Und die Puppen konnten damals auch schon sprechen;
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