Die Zeit der Katzenpfoten
schmiegte sich an ihn und knabberte an seinem Ohr; Taiko lachte vor Vergnügen. Sie waren nicht allein, denn ein stetiger Menschenstrom bewegte sich mit ihnen die ganze Länge der Rampe hinunter, und alle hatten gerötete Gesichter und waren aufgeregt.
Forrester gab sich der Feiertagstimmung hin. »Was macht es schließlich«, schrie er Adne zu, »wenn wir ausgelöscht werden?«
»Mein lieber Charles«, antwortete sie, »halt den Mund und zieh dich aus.«
Forrester war etwas überrascht, als er sah, daß die ganze Prozession begann, die äußeren Kleidungsstücke abzuwerfen. Grobe Westen und transparente Blusen wurden auf den Boden geworfen, wo geschäftige kleine, glitzernde Reiniger sie in Abfallanlagen zerrten. »Warum nicht?« sagte er lachend und trat seinen Slipper in Richtung eines Reinigers, der sich auf seinen Rädern wie eine Katze nach rückwärts aufrichtete und ihn in der Luft fing. Die Menge rollte die Rampe hinunter und warf bei jedem Schritt Kleider ab, bis sie sich in einer hochgewölbten Vorhalle befanden. Sie lachten und unterhielten sich, und der Lärm war so groß wie in einem Fußballstadion.
Und dann schloß sich hinter ihnen ein Tor. Der übersättigende Jokerduft verschwand im Nu. Ströme einer herberen, kälteren Essenz ergossen sich über sie; und auf einmal standen sie dort alle fast nackt und vollkommen nüchtern.
Charles Forrester hatte etwas weniger als vier Jahrzehnte wirklichen Lebens hinter sich – das heißt in Realzeit, die nach dem Atmen der Lungen und dem Schlagen des Herzens gemessen wurde. Der erste Teil dieses Lebens, der Jahrzehnte umfaßte, hatte im zwanzigsten Jahrhundert stattgefunden. Der zweite Teil, der Tage umfaßte, hatte nach mehr als einem halben Jahrtausend Kühltruhendasein stattgefunden.
Obwohl diese Jahrhunderte spurlos an Forrester vorübergegangen waren, stellten sie für die Welt der Menschen Realzeit dar: jedes Jahrhundert einhundert Jahre, jedes Jahr 365 Tage zu je 24 Stunden.
Von alldem, was wahrend dieser Jahrhunderte geschehen war, hatte Forrester sich nur die geringsten oberflächlichen Kenntnisse erwerben können. Er hatte noch nicht einmal gelernt, welche Kräfte dieses Jahrhundert in Gaswolken drängen konnte. Forrester hatte mit den Knöpfen seines Jokers gespielt oder sich den Launen seiner Freunde unterworfen und so eine Vielzahl von Rauschmitteln und Euphorika, von weckenden und einschläfernden Spritzen probiert. Aber niemals zuvor hatte er eine Droge gekostet, die kein Sinnesorgan betäubte, sondern sie alle schärfte. Nun stand er neben Taiko mit Adne im Arm in diesem Raum und war von einem halben Hundert anderer Männer und Frauen umgeben; und er war vollkomme n wach und nahm erstmals in seinem Leben wahr. Er wandte sich um und blickte Adne an. Ihr Gesicht war blankgescheuert, ihre Augen sahen ihn an, ohne zu blinzeln. »Du bist innerlich verkommen«, sagte sie.
Was sie gesagt hatte, war das genaue Äquivalent einer Ohrfeige, und Forrester faßte es auch so auf. Ein befreiender Zorn erfüllte ihn. Er knurrte: »Du bist eine Dirne. Ich glaube auch, daß deine Kinder unehelich sind.« Er hatte überhaupt nicht beabsichtigt, so etwas zu sagen.
Taiko sagte: »Schnauze halten und krabbeln!«
Forrester rief ihm leidenschaftslos über die Schulter zu: »Du bist ein verlogener Scharlatan ohne ein Gramm Prinzip oder einen einzigen Gedanken im Kopf. Halt dich raus, ja?«
Zu seiner Überraschung nickte Adne zustimmend, aber sie sagte: »Reiner Kamikaze, genau wie der Pöbel, von dem du kommst. Vulgär und dumm.« Er zögerte, und sie sagte ungeduldig: »Mach schon, Kamikaze. Spuck es aus. Du bist auch eifersüchtig, stimmt’s?«
Ihr Streit war nicht der einzige; überall um sie herum wurden bittere Beleidigungen und Beschimpfungen ausgestoßen. Forrester nahm das nur am Rande wahr; seine ganze Aufmerksamkeit war auf Adne konzentriert, auf das Mädchen, das er zu lieben geglaubt hatte, und alle seine Anstrengungen galten dem Versuch, sie zu verletzen. Er schnappte: »Ich wette, du bist überhaupt nicht schwanger!«
Sie blickte ihn überrascht an. »Was?«
»All das Gerede über die Wahl eines Namens! Du wolltest mich wahrscheinlich nur reinlegen, damit ich dich heirate.«
Sie starrte ihn zuerst verständnislos, dann angeekelt an. »Verdammte Schinderei! Ich habe unseren reziproken Namen gemeint. Charles, du quatschst wie ein Idiot.«
Taiko kreischte: »Ihr seid beide Idioten! Krabbelt!«
Forrester würdigte ihn eines Blickes.
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