Die Zeit der Verachtung
begleiten, ihr als Führer und Beschützer dienen.«
Der junge Mann verneigte sich erneut, diesmal deutlich zu Ciri hin.
»Ciri«, sagte Yennefer kalt, »steh bitte auf.«
Sie stand auf, ein wenig verwundert, denn sie kannte die Sitten gut genug, um zu wissen, dass das nicht verlangt wurde. Doch augenblicks verstand sie. Der Angestellte sah tatsächlich gleichaltrig mit ihr aus, doch er war einen Kopf kleiner.
»Molnar«, sagte die Zauberin. »Wer soll hier wen beschützen? Konntest du für diese Aufgabe nicht jemanden mit gewichtigeren Abmessungen einteilen?«
Der junge Mann wurde rot und schaute den Prinzipal fragend an. Giancardi nickte zustimmend. Der Angestellte verbeugte sich abermals.
»Gnädige Dame«, sagte er fließend und ohne jede Verlegenheit. »Ich mag nicht besonders groß sein, doch man kann sich auf mich verlassen. Ich kenne die Stadt gut, die Vorstädte und die ganze Gegend. Ich werde dieses Fräulein beschützen, so gut ich nur kann. Und wenn ich, Fabio Sachs junior, der Sohn des Fabio Sachs, etwas tue, so gut ich nur kann, dann ... Dann kann sich so mancher Größere nicht mit mir messen.«
Yennefer betrachtete ihn einen Moment lang, dann wandte sie sich dem Bankier zu. »Gratuliere, Molnar«, sagte sie. »Du verstehst es, Mitarbeiter auszuwählen. Du wirst in Zukunft Freude an deinem jüngsten Angestellten haben. In der Tat, Erz von hoher Güte klingt, wenn man dagegenschlägt. Ciri, ich vertraue dich zuversichtlich der Obhut von Fabio, dem Sohn Fabios an, denn das ist ein ernsthafter und vertrauenswürdiger Mann.«
Der Bursche wurde rot bis in die Haarwurzeln. Ciri spürte, wie sie ebenfalls errötete.
»Fabio.« Der Zwerg öffnete eine Schatulle, wühlte in dem klirrenden Inhalt. »Hier hast du einen halben Nobel und drei ... und zwei Fünfer. Für den Fall, dass das Fräulein irgendeinen Wunsch hat. Wenn sie keinen hat, bringst du das Geld wieder. Na, ihr könnt gehen.«
»Zu Mittag, Ciri«, erinnerte Yennefer. »Keinen Augenblick später.«
»Ich weiß, ich weiß.«
»Ich heiße Fabio«, sagte der Bursche, als sie die Treppe hinabgingen und auf die belebte Straße traten. »Und dich nennt man Ciri, ja?«
»Ja.«
»Was willst du in Gors Velen besuchen, Ciri? Die Hauptstraße? Die Goldschmiedegasse? Den Seehafen? Oder vielleicht den Jahrmarkt?«
»Alles.«
»Hm«, sagte der junge Mann bekümmert. »Wir haben nur bis Mittag Zeit ... Am besten wird es sein, wenn wir auf den Markt gehen. Heute ist Markttag, man kann dort eine Menge interessante Dinge sehen! Aber vorher gehen wir auf die Mauer, von wo aus man die ganze Bucht und die berühmte Insel Thanedd sieht. Was hältst du davon?«
»Gehen wir.«
Die Straße entlang fuhren knarrende Wagen, trotteten Pferde und Ochsen, Böttcher rollten Fässer, überall herrschten Lärm und Eile. Ciri war von dem Verkehr und dem Gebrüll ein wenig benommen – sie trat ungeschickt neben den hölzernen Bürgersteig und geriet bis zum Knöchel in Morast und Unrat. Fabio wollte sie unterfassen, doch sie riss sich los. »Ich kann selber gehen!«
»Hmm ... Na ja. Hier, wo wir sind, ist die Hauptstraße der Stadt. Sie heißt Kardo und verbindet beide Tore, das Haupttor und das Seetor. Dort drüben geht es zum Rathaus. Siehst du den Turm mit dem goldenen Wetterhahn? Genau das ist das Rathaus. Und dort, wo das bunte Schild hängt, ist der Gasthof ›Zum aufgeschnürten Korsett‹. Aber dort, hmm ... dort gehen wir nicht hin. Wir gehen, ah, dorthin, nehmen die Abkürzung über den Fischmarkt, der in der Ringstraße ist.«
Sie bogen in eine Gasse ab und kamen auf einem kleinen Platz heraus, der zwischen Häuserwänden eingezwängt war. Der Platz war voller Stände, Fässer und Bottiche, aus denen starker Fischgeruch drang. Es war ein lebhafter und geräuschvoller Handel im Gange, Verkäufer und Käufer bemühten sich, die in der Höhe kreisenden Möwen zu überschreien. An der Mauer saßen Katzen, die so taten, als interessierten sie die Fische überhaupt nicht.
»Deine Herrin«, sagte Fabio plötzlich, während er zwischen den Ständen lavierte, »ist sehr streng.«
»Ich weiß.«
»Sie ist nicht eng mit dir verwandt, nicht wahr? Das sieht man gleich!«
»Ja? Woran denn?«
»Sie ist sehr schön«, sagte Fabio mit der grausamen, entwaffnenden Offenheit eines jungen Mannes.
Ciri drehte sich wie eine Sprungfeder um, doch ehe sie dazu kam, Fabio mit einer Bosheit bezüglich seiner Sommersprossen und seines kleinen Wuchses zu
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